Schon in Bolsena sind wir von dem netten Verkäufer in der Olivenpresse vor den Kinder-Taschendieben in Rom gewarnt worden. Ohne das wir ihn danach gefragt hätten, erklärte er uns, dass die Kinderdiebe in Rom wohl seit langem ein Ärgernis seien und er entschuldigte sich gerade zu dafür, dass dieses Phänomen nun schon seit langer Zeit existiert und nicht gelöst wird.
Nun sind wir keine ängstlichen Menschen und ich bin durch meine beruflichen Reisen in der Vergangenheit recht vertraut mit dem richtigen Verhalten in unbekannten Umgebungen. Ich hatte zwar schon von dem Thema der Kinderdiebe speziell in Rom gehört, aber als eine konkrete Gefahr habe ich das für uns nicht identifiziert. Alle erfahrenen Reisenden wissen das: in Gebieten in denen viele Touristen auftreten finden sich auch immer ein paar Zeitgenossen die sich auf illegale Weise an diesen Reisenden versuchen zu bereichern. In Reisemagazinen, in Blogs, in Reiseführern und ab und an in Zeitungen und Rundfunkbeiträgen wird immer wieder auf das richtige Verhalten hingewiesen. Wer diese Verhaltensregeln beherzigt, der hat in der Regel auch keine Schwierigkeiten.
Ich denke wohl auch gar nicht mehr so wirklich darüber nach und glaube zumindest automatisch das Richtige zu tun.
Interessant wird es, wenn man unvermittelt mit einer entsprechenden Situation konfrontiert wird. Man bekommt kostenlos einen Realitätscheck.
Rush Hour in der Metro
Wir sind nach einem Streifzug durch Rom auf dem Weg zurück zum römischen Hauptbahnhof Termini. Zu dieser Zeit sind sehr viele Menschen mit der U-Bahn unterwegs. Die Bahnsteige sind voll, es herrscht ein Gewusel von Menschen, das den Ortsunkundigen etwas unsicher werden lässt, ob er auch dahin kommt wohin er will. Man wird durch die Menschenmasse in den unterirdischen Gängen einfach irgendwo hin geschoben.
Als wir dicht gedrängt am Bahnsteig auf den nächsten Zug warten, habe ich kurzen Augenkontakt mit einem sehr jungen Mann, der modisch und gut gekleidet mit adretter Frisur und zwei Knöpfen im Ohr mich freundlich anlächelt. Mir fiel das deshalb so besonders auf, weil üblicherweise in Massenverkehrsmitteln die Menschen eher in einer Art Delirium oder Wachschlaf mit versteinerter bis grimmiger Miene unterwegs sind.
Die nächste U-Bahn donnert in den U-Bahnhof hinein. Der Zug steht noch nicht, doch die Menschenmenge orientiert sich sofort in die Richtung, in der sich die nächste Tür befinden wird, wenn der Zug erst einmal steht. Instinktiv nehme ich den locker über meine Schulter baumelnden Rucksack vor meine Brust, umschlinge diesen fest und nehme WoMoline an die andere Hand, um nicht von ihr durch die schiebende Menschenmasse getrennt zu werden.
Die U-Bahn ist schon voll besetzt. In den Bereichen für das Aus- und Einsteigen sind noch einige Stehplätze verfügbar. Wir werden praktisch in den Waggon hinein geschoben. Sich dagegen wehren wäre zwecklos. Wir stehen schon dicht an dicht, doch noch immer drücken weitere Fahrgäste vom Bahnsteig aus nach. Echtes Tokio-Feeling – nur die freundlichen Herren mit den weißen Handschuhen, die noch etwas nachhelfen die U-Bahnsardinenbüchse randvoll zu machen, die fehlen hier. Ich versuche mich zu orientieren. WoMoline und ich umklammern wie beim Tabledance eine Haltestange.
Die Attacke
Schräg rechts vor mir, in Richtung Ausstieg entdecke ich den jungen Mann vom Bahnsteig wieder. Er lächelt mich wiederum freundlich an. Ich mustere den jungen Mann von oben nach unten und versuche sein Alter einzuschätzen.
Dem Auftreten nach hätte ich gesagt 16 oder 17 Jahre. Den Gesichtszügen nach aber höchstens 13 oder 14. Ich schaue in Richtung Fußboden und sehe wie er mit seinen Fingern wie ein Klaviervirtuose kurz vor Beginn seines Auftritts Bewegungsübungen macht. In diesem Moment erinnere ich mich wieder an das Gespräch mit unserem Olivenölverkäufer. Kinderdiebe!
Instinktiv bewege ich meine freie Hand zu meiner Gesäßtasche, in der meine Geldbörse steckt. Alles noch da. Die Bahn setzt sich in Bewegung und nimmt Fahrt auf. Noch immer lächelt mich der junge Mann fast ein wenig arrogant an. Ich weiche seinen Blicken aus. Gleichzeitig überkommt mich ein sehr ungutes Gefühl. Der Zug fährt in den nächsten Bahnhof ein. Die Türen öffnen sich, doch niemand steigt aus. Die auf dem Bahnsteig Wartenden haben keine Chance auf eine Mitfahrgelegenheit. Nichts bewegt sich. Mit der einen Hand umklammere ich nach wie vor unseren Rucksack. Meine Finger befinden sich natürlich an der neuralgischen Stelle, an der der Rucksack zu öffnen ist. Mit der anderen Hand überwache ich meine Gesäßtasche, in der aber nur wenig Bargeld und kein Plastikgeld, aber mein Personalausweis steckt. Das Plastikgeld und die größeren Scheine sind im Brustbeutel verstaut. Es tritt in meinem Gefühlsleben wieder eine gewisse Beruhigung ein, nachdem ich feststellen kann, das die Reisekamera auch sicher verstaut ist.
Dann schließen sich die Türen wieder. Im Augenwinkel kann ich erkennen, das ein junges Mädchen, welches direkt an der Tür steht, die Tür blockiert, sodass die Tür wieder aufspringt. Sie steigt aber nicht aus und so wirkt ihr Verhalten doch etwas seltsam. Ein Fahrgast der auf der anderen Seite der Tür steht spricht die junge Frau an und deutet mit der rechten Hand auf den jungen Mann. Was er zu ihr sagt kann ich nicht verstehen, es klingt aber nicht sehr freundlich. Wie für Italiener üblich steigert sich die Ansprache sehr schnell zu einer sehr deutlichen und eindringlichen Lautstärke. Ich überprüfe wieder Rucksack, Gesäßtasche, Kamera und auch den Brustbeutel. Alles okay.
Der Zug hat sich schon längst wieder in Bewegung gesetzt. Der Redeschwall des Fahrgastes wird immer lauter (nicht nur wegen dem Fahrgeräusch) und drohender. Er dreht seinen Kopf in meine Richtung und sagt in lautem aber freundlichem Ton etwas zu mir. Ich verstehe es natürlich nicht.
Ein anderer Fahrgast der mit seinem Rücken mir zugewandt an meiner rechten Schulter steht und wohl aufmerksam das Geschehen verfolgt hat, dreht sich zu mir und sagt in gutem Englisch: „be careful, be careful and check your wallet.“ Der junge Mann den ich immer noch mit einem Auge unter Beobachtung habe, wendet seinen Blick von mir ab. Nun habe ich keinen Zweifel mehr der junge Mann und die junge Dame an der Tür gehören zusammen.
Das scheint der Trick der Kinderdiebe zu sein. In einem günstigen Moment, beim Schließen der Zugtüren, wird ein Tourist beklaut, der Zweite blockiert die Tür, damit der Dieb mit der Beute im Gewühl der U-Bahngänge verschwinden kann. Wir sind wohl gerade eben einer solchen Attacke entgangen.
Die Türen öffnen sich wieder in der nächsten Station. Die beiden mutmaßlichen Kinderdiebe verschwinden, ohne sich gegenseitig eines Blickes zu würdigen.
Also alles richtig gemacht?
Ich bin ganz ehrlich. Ohne die Warnung unseres netten Olivenölverkäufers wäre ich wohl nicht so aufmerksam gewesen. Ich hätte den Ernst der Lage wohl erst später erkannt. Ob der junge Mann dann erfolgreich gewesen wäre, das sei dahin gestellt.
Aus dieser kleinen Rom-Erfahrung ziehe ich für mich zwei Lehren.
- Auch alle Routinen, die man sich als Vielreisender, oder erfahrener Reisender angewöhnt hat, sind immer wieder auf den Prüfstand zu stellen, denn die Spitzbuben sind dauerhaft kreativ und entwickeln ihre Vorgehensweisen weiter. Die angewöhnten Sicherheitsroutinen sind aber nicht kreativ! und entwickeln sich nicht weiter! Sie bleiben unreflektierte Gewohnheit die mittelfristig von den Spitzbuben antizipiert werden.
- Egal wie erfahren man als Reisender ist, die Erfahrungen und Ratschläge der Einheimischen sollte man immer ernst nehmen.
Wir wünschen allen eine gute Reise, ohne Angst – aber mit Aufmerksamkeit und wachem Verstand.
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