Bolsena – wir tauchen ein in die italienische Lebensart.

Bolsena ist ein hübsches Städtchen, das sich an die steilen Hänge des Kraterrandes krallt. Zwischen dem historischen Stadtkern und dem Seeufer reihen sich die schmucken und modernen ein- und zweistöckigen Wohnhäuser und Appartementhäuser neueren Herstellungsdatums. Bolsena 2 - SeepanoramaAn der Strandpromenade finden sich auch ein paar kleine Hotels, die aber nicht höher sind als die dort wachsenden und schattenspendenden Pinien.

Seeseitig habe ich erwartet, viele Freizeitboote und touristische Wassersportangebote vorzufinden. Doch das hält sich alles in überschaubaren Grenzen. Natürlich gibt es ein paar Boote, ein kleines Fährschiff habe ich auch gesichtet, aber die verfügbare Segeloberfläche ist deutlich kleiner als die Seeoberfläche. In bekannten Binnenwassersportressorts, wie z.B. dem Gardasee, Starnberger-, Ammer- oder dem Bodensee Bolsena 4 - Burghabe ich bei gutem Wetter und am Wochenende manchmal den Eindruck, dass die Segeloberfläche die Seeoberfläche übertrifft und Badegäste um einen Stehplatz im Wasser bitten müssen. 😉

Überragt wird die Stadt von einer mächtigen Burg. Die Gassen sind so ausgerichtet, dass sie am Tage meist den wohltuenden Schatten spenden. Trotz des Schattens, das Erklimmen des Burgberges ist zur Mittagszeit eine schweißtreibende Angelegenheit.

Das Leben findet auf Strassen und öffentlichen Plätzen statt

An jedem Tag ist in den Morgenstunden Leben in der Stadt. Wir beobachten bei einem Cappuccino das Treiben am zentralen Platz der Unterstadt, der Piazza Matteotti. Es ist ein Kommen und Gehen. Geparkt wird, so scheint es, wie es gerade gefällt. Alles läuft ganz unaufgeregt ab. In Franken hätten sich schon längst die ortsbekannten Dorfbruddler zusammengefunden und hätten diesen Regelverstößlern ihren ganzen Unmut lautstark entgegengebracht.
Bolsena 5 - Schild Piazza MatteottiNicht so hier. Hier schmettert ein Regelverstößler einem anderen Passanten ein freudiges „Bonjorno“ entgegen, ein anderer Passant winkt ins Straßencafe hinein mit einem unüberhörbaren „Ciao, Enrico“, worauf ein Cafebesucher mit einem Winken und einem lauten „Ciao, Carlo“ den Gruß erwidert. Manchmal beteiligt sich auch der Busfahrer des Stadtbusses, der die Piazza Matteotti auf dem Weg in die “Oberstadt” durchqueren muss, an dem Begrüßungsritual.

Neben uns sitzen mehrere ältere Herren. Sie erzählen sich zum Teil lautstark Wichtiges, vielleicht auch nicht so Wichtiges, vielleicht auch den neuesten Tratsch. Wir wissen es nicht, denn wir verstehen den Inhalt der kreuz und quer laufenden Gespräche nicht. Den Stimmen, der sprachlichen Intonierung und der Gestik entnehmen wir aber pure Lebensfreude.

Bolsena 6 - Piazza HerrenrundeEine ältere Dame parkt ihren Kleinwagen direkt vor dem Cafe, ohne sich Gedanken über die Folgen zu machen. Sie hilft ihrem Mann, der schon etwas gehbehindert ist, aus dem Auto und führt ihren Mann zu dem Tisch der älteren Herren, organisiert einen Stuhl vom Nebentisch, begrüßt beiläufig die anderen Herrn und setzt ihren Mann zu der vergnüglichen Runde. Dann verlässt sie das Cafe und scheint froh zu sein nun etwas Zeit für sich selbst zu haben. Das verursachte Verkehrschaos würdigt sie keines Blickes. Eine viertel Stunde später erscheint sie wieder und entfernt das Verkehrshindernis, lässt aber ihren Mann bei seinen “Kumpels” sitzen.

Bolsena 7 - Piazza MatteottiWir machen erst einmal einen Stadtrundgang und als wir wieder an dem Zentralen Platz zurückkommen, können wir amüsiert beobachten, wie die ältere Dame wiederum vor dem Cafe vorfährt, ihren Mann wieder in den Kleinwagen „einlädt“ und dann die Szenerie mit einem heißen Reifen verlässt. Wie wir am nächsten Tag, bei unserem obligatorischen Cappuccino feststellen, läuft das auch bei einigen anderen Herrn der geselligen Runde so ab. Wir finden es irgendwie niedlich, wie die älteren Herren von ihren Frauen zu ihrem „Frühschoppen“ gebracht und auch wieder abgeholt werden.

Mir geht der Begriff „Pantoffel-Helden“, angesichts des egomanischen Palavers, nicht aus dem Kopf. 😁 (WoMoline wollte diese Bemerkung streichen, doch ich habe darauf bestanden, dass meine Empfindungsbeschreibung erhalten bleibt.) 😉

Erst am Abend fängt das Leben an zu pulsieren

Am nächsten Abend gehen wir die Enotecas in Bolsena erkunden und lassen uns ganz bewusst nicht nur zu einem Tropfen verführen. Die Stimmung am Abend wird durch die mittelalterlichen Festspiele noch bunter und interessanter. Es wird ein Schauspiel in einer Gemeindehalle aufgeführt. Als “Vorspeise” gibt es einen mittelalterlichen Umzug in historischen Kostümen durch die engen Gassen der Stadt. Alles ist vertreten, Soldaten, die Handwerkszünfte, die Opfer der Inquisition – auch “Hexen” genannt, ein Scharfrichter mit Henkersbeil, die Honoratioren, Edelmänner und Edelfrauen, Bauern Leibeigene und Bedienstete, kirchliche Würdenträger und ein “Aussätziger” gezeichnet von der Lepra. Alle schreiten mit strengem Blick (der Leprakranke mit verborgenem Blick) durch die Gassen. Das schreibt die Dramaturgie wohl so vor. Doch ab und an kommt es zum stocken des Umzugs und es ergibt sich ein Augenkontakt mit den Darstellern der historischen Szenerie. So kann der/die eine oder andere Darsteller/in ein grinsen oder gar ein leises Lachen sich nicht verkneifen.

 

Wir fühlen uns irgendwie, wie Bürger Roms im Mittelalter und genießen die fröhlich festliche, vielleicht sogar erhabene, auf jeden Fall aber selbstbewusste Stimmung. Bolsena 9-2 KunstgewerbemarktIm Rahmenprogramm gibt es einen mittelalterlichen Markt mit Kunstgewerbe und an anderer Stelle Marktstände mit kulinarischen Angeboten. Am Rande des kleinen Platzes stolpern wir geradezu in einen kleinen Laden. Es geht um „tierische Spezialitäten“. Salamis und Schinken vom Wildschwein in allen Variationen. Mit allerhand verschiedenen Gewürzen und natürlich als Krönung mit weißen oder schwarzen Trüffeln. Wie schon in der Toskana scheint Tuskia auch ein bevorzugtes Gebiet für die feinen Trüffel zu sein.
Wir werden sofort vom Besitzer zum Probieren seiner Spezialitäten eingeladen. Obwohl er weder englisch oder deutsch spricht, und wir nur ein paar Höflichkeitsfloskeln auf italienisch beherrschen, klappt die Verständigung prächtig. Bei den Details zu seinen Spezialitäten helfen ein paar Produktaufkleber die meist in grausigem englisch, in ein paar Einzelfällen sogar in noch grausigerem deutsch, über die Inhaltsstoffe und verwendeten Gewürze informieren. Bolsena 9 - Salami-SpezialitätenTrotz all der sprachlichen Schwierigkeiten erfahren wir, dass der sehr freundliche und lustige Herr auf der anderen Seite der Ladentheke der Eigentümer nicht nur dieses Ladens, sondern auch einer kleinen Spezialitätenmanufaktur ist. Er legt großen Wert darauf, dass er der “Herr” der ganzen Herstellungskette ist, von der Jagd, der Ernte der Zutaten (Kräuter, “tuto regionale”) über die Wurstherstellung bis hin zum Verkauf. Alles Bio in Hofladenqualität würden wir vielleicht sagen. Und das alles mit sehr viel Liebe und Enthusiasmus sehr professionell präsentiert.
Es ist einfach eine Freude zuzusehen, wie dieser Mann “brennt” für das was er tut, als ob es seit seiner Geburt es niemals in Frage stand, dass genau diese Tätigkeiten an diesem Ort seine Bestimmung sind. Seine leuchtenden Augen verraten uns das. Gepaart mit diesem Wissen schmecken die probierten Schmankerl nicht nur sehr gut sondern außerordentlich.

Bolsena 10 - Enoteca am Abend

So ist es nicht verwunderlich, das eine Spezialität nach der anderen in unserem immer mitgeführten Nyloneinkaufsbeutel verschwindet. Entsprechend herzlich, lautstark und ausgiebig fällt dann auch die Verabschiedung aus, bevor wir uns dem zuwenden, was seit Jahrhunderten immer dazu gehörte und auch heute dazu gehört: dem Wein.

Bolsena 11 - der Weisswein

Ein Nachbar auf dem Wohnmobilstellplatz hatte uns den Tipp gegeben, eine Enoteca nahe der Burg zu besuchen, die ein besonders erlesenes regionales Weinangebot bereithält. Auf einer Mauer sitzend genießen wir unseren Wein, den uns die beiden netten Berlinerinnen, die die gegenüber liegende Enoteca betreiben, empfohlen haben. Es bleibt nicht bei dem einen Glas…

In dieser Stimmung fragen wir uns: “Fühlte es sich zu damaliger Zeit so an, ein Römer zu sein?” Wir glauben ja, auch wenn das Leben zu römischer Zeit oder im Mittelalter sicherlich wesentlich beschwerlicher war als heute. Ich denke mir, dass es für die kleine Oberschicht der „Bürger Roms“ die großen Reichtum angehäuft hatten so war, wie wir es heute in den Mauern dieser Stadt empfinden.