Zu Besuch in Weimar – der Wiege der deutschen Demokratie

Selbstbewusst schreibt die Stadt Weimar auf ihrer Webseite:

„Weimars Vielfalt überrascht Besucher immer wieder auf’s Neue. In keiner anderen deutschen Stadt vergleichbarer Größe hat sich so viel deutsche und europäische Kulturgeschichte abgespielt.“

Goethe und Schiller Denkmal

Diese Selbstbeschreibung ist keine marketinggetriebene Übertreibung. Immerhin kann Weimar für sich in Anspruch nehmen, der ersten deutschen demokratisch legitimierten Republik seinen Namen zur Verfügung gestellt zu haben.

Weimar war auch im Bereich von Kunst und Kultur ein Anziehungspunkt für bedeutende Kunstschaffende.

Bach und Liszt wählten Weimar zu ihrem Schaffens- und Lebensmittelpunkt. Der Komponist Johann Nepomuk Hummel, einer der berühmtesten Klaviervirtuosen seiner Zeit, arbeitete zwanzig Jahre in Weimar. Richard Strauß erschuf „Don Juan“, „Macbeth“ und „Tod und Verklärung“ in Weimar, wo diese bedeutenden Stücke der Musikgeschichte auch uraufgeführt wurden. Die Oper „Hänsel und Gretel“ von Engelbert Humperdinck erlebte 1893 mit der damaligen Hofkapelle ebenfalls ihre Uraufführung in Weimar.

Auch Schiller und Goethe waren für längere Zeit in Weimar heimisch. Ihre Wohnhäuser sind heute noch zu besichtigen. Es ist schon fast selbstverständlich, dass diese beiden großen Deutschen mit einem Denkmal vor dem Deutschen Nationaltheater auf dem Theaterplatz geehrt werden.

Haus der Weimarer Republik

Gegenüber dem Deutschen Nationaltheater und dem Denkmal für Goethe und Schiller befindet sich heute das Haus der Weimarer Republik. Dieses Museum und Begegnungstätte zog rund 100 Jahre nach der Weimarer Republik in dieses schöne Gebäude ein, nachdem das Bauhausmuseum, das bis dahin dort residierte, in seine neu geschaffenen Räumlichkeiten umgezogen war.
 
Nach seiner Gründung sollte das Staatliche Bauhaus in Weimar das Design und die Architektur weltweit revolutionieren. Mit der Gestaltungsschule verbinden sich Form- und Farbexperimente, Architektur-Ikonen und Alltagsdesign, rauschende Feste und minimalistische Entwürfe. Der Gründerkopf, Walter Gropius holte 1919 die europäische Künstleravantgarde in die Stadt und schuf damit den Nukleus und den Rahmen der modernen Architektur und funktionalen Designs.

Bei soviel Wichtigem und Berühmtem verwundert es nicht, das Weimar gleich zwei Mal mit dem Titel UNESCO Welterbe aufwarten kann. Zum einen als ‚Klassisches Weimar‘ und zum anderen als Teil des ‚Bauhaus und seinen Stätten in Weimar, Dessau und Bernau‘.

Wir erleben Weimar als eine sympathische, fast verträumte Kleinstadt mit historischem Ortskern, die sich uns sehr gepflegt und großteils restauriert präsentiert. Und wo das noch nicht passiert ist, da werden notfalls nur noch die Fassaden erhalten und das Innenleben des Gebäudes komplett neu gebaut.

Wer Großstadthektik sucht, der wird sich in Weimar langweilen. Es gibt keine übertriebene Eile, kein sich wichtig tun oder sich darstellen müssen. Manch einer mag das als bieder empfinden, auf mich wirkt es wohltuend entschleunigend. Eine sehr angenehme Atmosphäre. Die Schillerstraße mit den schönen schattenspendenden Bäumen, die die Straße säumen, sind das Abbild dieser angenehmen Atmosphäre.
Natürlich verfolgen einen die deutschen „Wortkünstler“ Goethe und Schiller auf Schritt und Tritt. Da ein Museum, dort eine Apotheke, hier die Schillerstraße und dort der Goetheplatz und ein Stückchen weiter ein Schokolädchen, das Goethe im Namen trägt.

Wir sind in Weimar zu einem Zeitpunkt unterwegs, an dem der Tourismus nach dem Lockdown 2020 noch nicht wieder vollständig angelaufen ist. Es mag sein, dass wir zu einem anderen Zeitpunkt die Atmosphäre in Weimar anders wahrgenommen hätten. Es gibt dennoch eine ganze Reihe von Indizien, die unsere Wahrnehmung bestätigen.

So sind z.B. die Einkaufsmöglichkeiten nicht primär auf Touristen ausgerichtet, sondern auf die Alltagsbedürfnisse der in Weimar und Umgebung lebenden Menschen. Merkmale wie z.B. in Tauberbischofsheim, Rüdesheim oder … (ich glaube, jeder der gern auf Reisen ist, kennt solche Orte), die auf eine „Entheimatung“ der ortsansässigen Bevölkerung durch den Tourismus hinweisen, haben wir in Weimar nicht entdeckt. Auch die unmittelbare Nähe zu der thüringischen Landeshauptstadt Erfurt scheint dem städtischen Leben in Weimar nicht zu schaden bzw. das „Wasser abzugraben“. Ganz im Gegenteil. Erst wie wir später erkennen werden, nach dem wir Erfurt besucht haben, hat Weimar einen ganz eigenständigen Charakter. Das mag das Geheimnis sein, weswegen Weimar in unmittelbarer Nähe zur Landeshauptstadt bestehen kann.

In so manch anderen großen Stadt haben wir beobachtet, dass die kleineren Städtchen im Umland schwer zu kämpfen haben. Am offensichtlichsten zeigt sich das dann am Leerstand von Verkaufsflächen im Innenstadtbereich und am Verlust traditioneller Treffpunkte, wie z.B. alt eingesessener Brauereien, Gaststätten, Cafès usw. Auch das vermehrte Auftreten verwahrloster Immobilien mit Grafitty-Schmuck ist so ein Hinweis. In Weimar haben wir nichts der Gleichen entdecken können. Tradition und Anpassung an die Bedingungen und Notwendigkeiten der heutigen Zeit halten sich die Waage. Stattdessen finden sich Hinweisschilder und Informationen zur Stadt, seinen berühmten Einwohnern und zu seiner Geschichte dezent an den Straßen und Plätzen. Da wird auch schon einmal ein renovierter Giebel für einen klugen Spruch genutzt.

So mag es zu normalen Nicht-Corona-Zeiten vielleicht etwas touristischer in Weimar zu gehen, nach unserer Einschätzung bewegt sich das aber noch in einem angenehmen oder zumindest akzeptablen Rahmen. Hier noch ein paar Impressionen von Weimar, wie wir es gesehen haben:

Für Kultur- und Architekturinteressierte ist Weimar auf jeden Fall eine Reise wert. So lohnen sich Besuche im:

  • Bauhausmuseum,
  • Goethes Wohnhaus und seinem Gartenhaus am ‚Park an der Ilm‘,
  • Schillers Wohnhaus,
  • Rokkokosaal der Herzogin Anna Amalia Bibliothek,
  • Haus der Weimarer Republik,
  • der Fürstengruft in der die Särge von Goethe und Schiller stehen,
  • das Stadtschloss – das darin residierende Stadtschlossmuseum ist aber noch bis voraussichtlich 2023 wegen der Generalsanierung vollständig geschlossen und
  • viele weitere Museen und Gedenkstätten bis hin zur Gedenkstätte Buchenwald, das einen düsteren Fleck in unserer jüngeren Geschichte beleuchtet.
  • etliche Kirchen, wie in fast jeder geschichtsträchtigen Stadt
  • und etwas außerhalb der Stadt Schloss und Schlosspark Belvedere, Schloss und Park Tiefurt und Schloss (heute: Tagungshotel) und Schlosspark Ettersburg,

Es lohnt sich durchaus aus dem Stadtkern etwas hinauszugehen. Auch hier finden sich interessante Motive und Architektur. Wer mit dem Rad unterwegs ist, der kann auf dem Ilmtal-Radweg die in der Nähe liegenden Orte Bad Berka (ca. 10 km einfach) und über Apolda Bad Sulza – Thüringens Weinstadt – (ca. 30 km einfach) erradeln.

Wir haben uns vorgenommen wiederzukommen, um das Umland von Weimar und Erfurt zu erkunden. So wollen wir den Ilmtal-Radweg von Allzunah bis zur Saalemündung nördlich von Bad Sulza bei Großheringen abradeln und dabei Weimar einen weiteren und ausgiebigen Besuch abstatten. Immerhin wurde der Ilmtalradweg als erste Radroute in Thüringen vom Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Club als ADFC-Qualitätsradroute mit vier Sternen ausgezeichnet. Angeblich soll dieser der beliebteste Radweg in Thüringen sein. Daher werden wir unser Wiederkommen so planen, dass wir nicht am Wochenende die Region besuchen, denn dann ist aufgrund der Auszeichnung mit viel Verkehr auf dem Radweg zu rechen.

Zum Schluss begegnete uns noch dieser etwas aus dem Rahmen gefallene Herr mit seinem „SolardachFahrrad“.

Auch solche Kuriositäten begegnen einem in Weimar. 😉

Der Spreewald: eine von Menschenhand geschaffene Kulturlandschaft

Das den inneren Spreewald umgebende Grasland wird heute von großen Traktoren mit gigantischen Mähbalken bearbeitet. In früherer Zeit dürfte das durch Ochsen, Pferde und durch Muskelkraft bewerkstelligt worden sein, oder aber durch direkte Beweidung wie es auch heute noch gemacht wird. Die Rinderherden, die wir beobachten konnten, die durch das Grasland streifen, verleihen der Landschaft einen Hauch von Wild-West-Romantik. Einen Cowboy oder Gaucho haben wir aber nicht gesehen.😉 An einer Stelle werden wir durch Schautafeln darauf hingewiesen, dass dieses Gebiet schon seit mindestens 3000 Jahren von Menschen bewirtschaftet wird. Das belegen archäologische Befunde. Somit ist der Spreewald ein sehr altes von Menschen gestaltetes Kulturland.

An verschiedenen Stellen, fällt uns auf, dass man die Natur sich selbst überlässt. Ein Einheimischer, mit dem wir ins Gespräch kommen, vertritt zu dieser „grünen Haltung“, eine sehr kritische Position. Er argumentiert, dass die Spreelandschaft nur deshalb heute so ist, wie sie ist, weil der Mensch sie über viele Jahrhunderte gestaltet hat. Dass Sich-Selbst-Überlassen hat zur Folge dass sich diese alte Kulturlandschaft zusehends verändert, weil durch die fehlende Kulturpflege sich der Waldbestand nicht mehr verjüngen kann. Er lastet diese Veränderung der dogmatischen Haltung von grünen Politikern an und empfindet deren kompromisslose Haltung als eine Art Heimatverlust. Das ist eine Sichtweise, die sich einem Touristen, der mal für zwei, drei Tage einfliegt bei aller Aufmerksamkeit nicht sofort erschließt. Er empfindet, das was er sieht als schön, Natur pur, als schon immer so gewesen. Es strahlt Idylle und Friedlichkeit aus. Die schleichenden Veränderungen kann der Kurzzeittourist nicht erkennen.

Mir wird wieder einmal deutlich, wie schwierig es in unserer komplexen Welt geworden ist, einen fairen Interessenausgleich zwischen unterschiedlichen Standpunkten und Interessen zu erarbeiten. Und so stellen sich mir beklemmende Fragen, wie z.B.:

Wem gehört eigentlich eine alte Kulturlandschaft?

Wer darf für diese Kulturlandschaft sprechen (und wer nicht)?

Gibt es so etwas wie Heimatrecht? Oder sogar ein Recht auf Heimat? Ist das vielleicht sogar ein Grundrecht?

Gibt es so etwas wie ein Selbstbestimmungsrecht der in einer „Heimat“ lebenden Menschen und der durch sie getragenen Organisationen?

Wo liegt die Grenze zwischen „Mit der Natur leben“ und „Natur ausbeuten“?

Diese Fragen machen uns sehr nachdenklich, zumal uns ähnliche Fragen in touristischen Hotspots wie z.B. in Pisa, Kloster Melk, Dürnstein an der Donau, in der Tourimeile am Tittisee oder in Venedig in ähnlicher Weise begegnet sind. In den genannten Beispielen war Auslöser der überdimensionale und nicht mehr verkraftbare Ansturm der Touristen, der Heimat zerstört.

Hier lernen wir, dass auch politische Dogmen, Heimat zerstören können!

2020 – Ein „ausgefallenes“ Reisejahr

2020 war und wird in unserer Erinnerung im doppeldeutigen Sinne ein „ausgefallenesReisejahr sein und bleiben.

Egal von wo man mit dem Lesen beginnt – es ergibt immer einen Sinn

Zum einen waren so manche Touren einfach nicht möglich, und zum anderen wurden Reiseziele angesteuert, die wir vielleicht nie auf dem Plan gehabt hätten. Unschwer zu erraten: auch das Reisen hatte Corona in 2020 fest im Griff. 

Es fängt schon damit an, dass wir zum ersten Mal das Wohnmobil im Winter abgemeldet haben. Es ist noch Anfang Dezember 2019 als Europa noch glaubt, das Virus ist ganz weit weg und bedroht uns kaum. Der Grund für die Abmeldung ist auch nicht Corona, sondern, weil unsere Planungen und einige familiäre Verpflichtungen uns aufzeigen, dass es durchaus Mai oder Juni werden kann bis wir wieder Zeit haben, mit dem Wohnmobil wegzufahren.

Das hat uns zwar ein paar Euro Steuer und Versicherung gespart, doch als wir hätten wieder fahren können, bekommen wir keinen Termin zur Wiederzulassung unseres Wohnmobils. Alle Termine sind von Autohäusern und Zulassungsdienstleistern blockiert. Die aufgestauten Zulassungsaktivitäten aus der Lockdownzeit müssen erst einmal abgearbeitet werden. „Nicht so schlimm“ sagen wir uns, denn das Wetter spiel zunächst ohnehin nicht mit. 

Gewöhnen an Pandemiebedingungen

Dann ist es endlich soweit. Nummernschilder wieder gestempelt, die üblichen Wartungs- und Reinigungsarbeiten durchgeführt und das Wohnmobil eingeräumt. Es kann losgehen. Doch bei dem Blick auf unsere Wetter-App gibt’s nur lange Gesichter. Alle Zielregionen (und das sind eh nicht viele), die wir uns ausgedacht haben, locken nicht mit positiven Wetterprognosen. So wird die Wetter-App zum Reiseleiter. Der Reiseleiter sagt uns: „ab in den Osten“. Und in der Tat, er soll Recht behalten. Durch die Medien sind wir vorgewarnt, das die Gastronomen an der Ostsee einen Ansturm erwarten. Also entscheiden wir uns für ein, aus unserer Sicht, nicht so stark favorisiertes Ziel. Die Wahl fällt auf dem Spreewald, denn WoMoline will gerne in diese Ecke fahren. 

Dort angekommen, müssen wir feststellen, alle Wohnmobilstellplätze belegt. Auch auf den Campingplätzen in Lübbenau und Umgebung und in Burg ist nichts mehr zu machen. Leicht frustriert, aber immer noch frohen Mutes, fahren wir wenigstens einmal durch Lübbenau, um einen Eindruck von dem Ort zu bekommen. Ganz am Ende, da, wo es wieder zur Autobahn geht, sehen wir einen großen Platz auf dem viele Wohnmobile stehen. Keine der Apps die wir befragt haben, haben diesen Platz im Angebot. Kurzentschlossen gesellen wir uns zu den anderen Wohnmobilen. Es stelle sich heraus, dass das gar kein Wohnmobilstellplatz ist, sondern der Tagesparkplatz für Omnibusse. Doch jetzt, kurz nachdem Lockdown, haben die Reisebusunternehmer ihre Touren noch nicht verkauft. So sucht man vergebens nach einem Omnibus. Die Gemeinde freut sich, dass die Wohnmobilbesitzer nun die 12 € Tagespauschale bezahlen und man lässt die Wohnmobile, respektive ihre Besitzer gewähren. Der Stadtkämmerer freut sich.

Ungläubig schaue ich in die Runde. Sehr viele Wohnmobile sind vom neuesten Produktionsdatum. Nachdem wir mit einigen gesprochen haben wird uns deutlich, viele WoMos sind Wohnmobile, die seit dem letzten Herbst ausgeliefert wurden. 

Die Besitzer sind, seitdem es nun möglich ist, unterwegs auf ihrer allerersten Ausfahrt. Also ein Platz mit vielen Neulingen. Wir treffen auch zwei alte Hasen. Sie berichten, dass sie Rügen angesteuert haben, doch nach fünf Stunden Stau haben sie entnervt umgedreht. Wenigstens mit der Idee Ostsee haben wir alles richtig gemacht.

Uns wird klar, dass alle Wohnmobile, die normalerweise zu dieser Jahreszeit in Italien, Kroatien, Frankreich oder sonst wo sind, nicht zu Hause stehen, sondern sie sind in Deutschland unterwegs. Dadurch wird es auf den Wohnmobilstellplätzen und Campingplätzen eng. Die Stimmung unter den Reisenden ist aber durchweg positiv. Alle sind froh, dass sie nun endlich on tour sein können. Im Osten sind die Corona-Regeln zu dieser Zeit ohnehin etwas moderater. Die wirklich kritischen Gebiete liegen im Süden und Westen der Republik.

Nur eines ist anders: es gibt ein ganz neues Gesprächsthema und das beherrscht alles. 

Und das heißt: Corona. 

Egal wo und mit wem, es dauert nicht lange bis dieses Thema gestreift wird. Bei manchen ist es vielleicht nur eine sarkastische Bemerkung, bei vielen anderen ist es aber ein Bedürfnis, sich mit den Anderen darüber ausgiebig auszutauschen. 

Dem Thema entkommt keiner. Das wird sich auch im Laufe des restlichen Reisejahres nicht mehr ändern und ich fürchte es wird im Jahr 2021 auch nicht anders sein.

Azyklisch Reisen ist gar nicht so einfach

Nach ausgiebigen Radtouren im Spreewaldgebiet beschließen wir, uns Richtung Elbsandsteingebirge zu orientieren. 

Unsere Erfahrungen aus vergangenen Jahren helfen nicht wirklich weiter, denn alle verhalten sich nun anders als gewohnt. Dies erkennen wir bei einem Zwischenstopp in Senftenberg. Senftenberg liegt im ehemaligen Tagebergbaugebiet auf dem Weg nach Dresden. Hier wird die ganze Region zu einem Feriengebiet umgestaltet. Vorbild scheinen klassische Touristikzentren z.B. in Oberitalien und an der Adria zu sein. Und genauso geht es dort auch zu.

Wir beschließen, das von uns ins Auge gefasste Elbsandsteingebirge auf später zu verschieben, denn wir vermuten, dass es uns dort ähnlich ergehen wird wie im Spreewald und auch hier in Senftenberg.

Corona: das allgegenwärtige Phantom

Stattdessen wollen wir etwas für unsere Bildung tun und besuchen Weimar, Erfurt und Coburg. Zumindest in Weimar und Erfurt begegnet uns, ähnlich wie im Spreewald, ein etwas lockerer Umgang mit den Einschränkungen der Coronakrise. Die einzigen sichtbaren Merkmale sind Masken im Straßenbild und bei Bedienungen in Restaurants und hie und da Plexiglasschreiben in den Geschäften im Kassenbereich. Unser Eindruck ist: man hält sich einigermaßen an die von oben verordneten Vorgaben, aber wirklich überzeugt davon ist kaum einer. Mehrfach erleben wir folgenden Dialog:

„Haben Sie Corona?“
„Nein“ antworten wir,
„Kennen Sie jemanden, der Corona hat?“
„Nein“
„Sehen Sie, ich auch nicht.“ 

Corona wird fast zu so etwas wie einem Phantom. Man hört es nicht, man sieht es nicht. Auch beim Riechen und Schmecken – Fehlanzeige. Und doch ist Corona allgegenwärtig. Immer und überall.

In Coburg, wir sind schon in Bayern, wo die Infiziertenzahlen zu diesem Zeitpunkt deutlich höher sind. Dort werden die verordneten Maßnahmen deutlich ernster genommen. So zumindest unser Eindruck. Vielleicht liegt es an der Tatsache, dass die Medienberichterstattung in Bayern doch deutlich dramatischer gewesen ist als im Osten und sich das auf die Stimmung und Haltung der Bevölkerung auswirkt. Vielleicht hat die bayrische Staatsregierung auch deutlichere und schärfere Regeln vorgegeben, oder deren Einhaltung stärker überwacht. Ich weiß es nicht. Wir sehen auf jeden Fall deutlich häufiger ausgeschilderte Laufzonen mit Abstandsmarkierungen, Einbahnwegeregelungen nicht nur beim Freibad, strikte Befolgung von Besucherhöchstgrenzen usw.. Und wenn sich beim Anstehen für ein Eis to go doch Mal eine Nachlässigkeit einschleicht, dann wird der Regelbrecher mal höflich, öfter sehr bestimmt und manchmal auch richtig barsch auf seinen Regelverstoß hingewiesen.

Die scheinbar große Entspannung

Fünf Wochen später in der Ortenau. Temperaturen weit über 30 Grad, sinkende Coronafallzahlen, immer weniger Masken im öffentlichen Straßenbild. Wenn ich zum Einkaufen gehe, dann passiert es immer häufiger, dass ich aus dem Auto ohne Maske aussteige und dann noch mal umkehren darf. Toller Wein, wunderschöne Wanderungen an den Hängen des Schwarzwaldes und des Kinzigtals, Gaumenfreuden in der Restauration toller Hotels und bei Sterneköchen. Leben wie Gott in Deutschland, manchmal ganz kurz unterbrochen durch Maskenpflicht – z.B. beim Gang zu einem gewissen Örtchen. 

Das Ganze fühlt sich an wie das letzte Aufbäumen der Pandemie. Die hohen Temperaturen heizen dem Virus kräftig ein und erste Meldungen der Presse über Erfolge bei der Impfstoffentwicklung nähren die Hoffnung, dass es zum Ende des Jahres einen zugelassenen Impfstoff gibt. Keiner kann sich des Eindrucks erwehren, dass das die ultimative Allzweckwaffe im Kampf gegen die Pandemie ist und dem Virus den Rest gibt. Heute wissen wir, es wird anders kommen.

Warten auf normales Reisen

Wir hangeln uns am Rhein entlang immer weiter südlich Richtung Basel. Diesmal lassen wir den Kaiserstuhl rechts liegen, denn unser Weinlager im Wohnmobil ist übervoll. Irgendwann biegen wir nach links in den Hochschwarzwald ab. Wir fahren durch den Hochschwarzwald bis nach Bad Säckingen durch eine wunderschöne Landschaft. Menschen sehen wir nur Menschen, dort wo Gasthäuser links und rechts der Straße sind. Ansonsten sind wir, wenn wir stehen bleiben und beim Wandern weitestgehend allein. 

Erst auf unserer weiteren Strecke von Bad Säckingen den Rhein entlang bis kurz vor Schaffhausen holt uns das Thema Corona wieder ein.

Das bange Warten, ob Überwinterung im Süden möglich ist

Auf den Wohnmobilstellplätzen entlang des Rheins sehen wir auffallend viele Wohnmobile mit Schweizer Kennzeichen. Deutsche Kennzeichen sind schon fast Exoten. Wie sich herausstellt, sind das überwiegend Schweizer, die darauf warten, dass sie in Richtung Südspanien, Portugal oder sogar Marokko aufbrechen können. Sie warten auf sichere Indizien, dass, wenn sie einmal im Süden sind, nicht wieder wie im Frühjahr, mit Polizeigewalt und mit sehr engen Zeitvorgaben zur Heimfahrt gezwungen werden. Sie versammeln sich auf der deutschen Seite des Rheins, weil für Sie das Leben in Deutschland und die Wohnmobilstellplätze wesentlich günstiger sind als in der Schweiz. Tja von den reichen Schweizern kann man das Sparen lernen. 😉

Auf der ganzen Strecke von Bad Säckingen, Waldshut-Tiengen bis kurz vor Schaffhausen geht das Leben seinen gewohnt gemächlichen Gang. Dennoch bemerken wir zunehmend eine gewisse Skepsis der Menschen. Es kommt uns vor wie: „Es geht uns gut, alles funktioniert, aber wir trauen dem Frieden nicht so ganz.“

Wir wollten eigentlich noch bis Konstanz oder vielleicht sogar bis Meersburg weiterfahren, aber der Wetterbericht verheißt auf längere Sicht nichts Gutes. So entschließen wir uns, uns über die Autobahn in Richtung Norden abzusetzen. Bei einem kurzen Boxenstopp in Rottweil überholt uns dann das angekündigte Schlechtwetter und wir werden klitschnass. Trotz Regen, das Städtchen ist sehenswert.

Die Stimmung kippt

Mitte September waren wir u.a. im Blühenden Barock in Ludwigsburg. Die Stimmung ist noch wie vor kurzem am Rhein. 2 1/2 Wochen später, wir schreiben jetzt Anfang Oktober, starten wir zu unserer letzten größeren Fahrt im Jahr 2020. Startpunkt ist dieses mal Idar-Oberstein. Diesen Ort wählen wir, weil in Frankfurt mittlerweile die Kontaktregeln im öffentlichen Bereich  deutlich verschärft sind. Nach dem Prinzip Vorsicht haben wir ein Wiedersehen mit einer Freundin, die mittlerweile in Frankfurt lebt, nach Idar-Oberstein verlegt. 

Über Königstein, Kelkheim und Idstein durchqueren wir dann den Taunus, bis wir bei Weilburg auf das Lahntal treffen. Von hier aus folgen wir der Lahn flussaufwärts. Über Wetzlar, Gießen und Marburg geht es weiter bis fast zu Ursprung der Lahn. 

Von Weilburg bis zum Lahn-Ursprung in der Nähe von Neften, wollten wir eigentlich überwiegend mit dem Fahrrad auf dem Lahntalradweg unterwegs sein. Das sehr durchwachsene Wetter lässt aber aus der geplanten Wohnmobil-Radtour ein Städte- und Wohnmobilstellplatz-Hopping werden. Über Siegen und Olpe geht’s ins Ruhrgebiet zum Familienbesuch. Der Heimweg führt uns dann über Kassel und Fulda zurück nach Franken.

Hätten wir die von uns wahrgenommene Stimmung in einer Fieberkurve aufgezeichnet, so wäre eine sich stetig beschleunigende Absturzkurve entstanden mit hartem Aufschlag am Ende unserer Reise.

Ab Wetzlar gibt es unter den Wohnmobilisten praktisch keine Kommunikation mehr. Jeder grüßt von Ferne und verkriecht sich so schnell wie möglich im Wohnmobil – und daran ist nicht nur das wechselhafte Wetter schuld. Das kleine Schwätzchen beim Ziehen des Parktickets, der Erfahrungsaustausch nach dem Stadtbummel, der Radtour, der Wanderung, der Smalltalk an der Entsorgungsstation, wird immer seltener und kürzer, je weiter wir gen Norden kommen. In gleichem Maße wird die Berichterstattung im Radio immer dramatisierender und hysterischer. 

Wir stellen auf Musikkonserven ohne Nachrichten um, um der Depressionswelle entgegenzuwirken, die so viele heimsucht. Den meisten der uns umgebenden Wohnmobilisten, als auch den Menschen, denen wir in den Städten und Ortschaften begegnen, ist diese Stimmung quasi unsichtbar auf die Stirn geschrieben. Die Stimmung schwankt zwischen Resignation und zunehmender Aggression.

Auch wenn wir alles tun, um uns diesem Stimmungsabsturz so gut es geht zu entziehen, ganz gelingt es auch uns nicht.

Als wir dann zu Hause ankommen, das Wohnmobil winterfertig machen und Ende November dann ins Winterlager fahren, da kommt uns ein Satz über die Lippen, den wir so in den vergangenen Jahren noch nie verspürt oder gar ausgesprochen haben: „So, nun is gut“

Wir brauchen Urlaub vom Reisen. Das hätten wir uns nie träumen lassen. Doch Corona macht’s möglich.

Gibt es ein Fazit?

Kurz und knapp. Nein, ein Fazit gibt es nicht.

Wollte ich eines ziehen, dann müsste ich eine Menge von Fakten und Ereignissen adressieren, die zwangsläufig viele öffentlich auftretenden Personen blamieren würden.

Das wird aber der Sache nicht gerecht. Ich habe große Achtung vor der Verantwortung, die viele dieser Personen tragen und versuchen, dieser Verantwortung gerecht zu werden. Auch wenn immer wieder einzelne Personen versuchten, persönliche Interessen mit ihrem Auftrag zu verbinden, oder gar ihren Auftrag und ihre persönlichen Interessen verwechseln, so muss man allen zugestehen, dass der Panikmodus der nahezu alle Lebensbereiche infiltriert hat, auch diesen Verantwortungsträgern die Sicht und Urteilsfähigkeit vernebelt. Auch sie sind nur Menschen.

Tauschen möchte ich da mit keinem.

Eine Prognose wage ich aber doch:

Wer so wie wir, mit dem Wohnmobil reist, ist darauf angewiesen, dass die Menschen in den Zielregionen und die anderen Reisenden mit Fröhlichkeit, Zuversicht und Offenheit einem gegenübertreten, genauso wie wir dies gegenüber unseren Gastgebern und Mitreisenden tun und tun wollen. Nur so wird aus einer Reise ein unvergessliches Erlebnis. Leider wurde durch diese Coronapandemie viel von dieser Basis zerstört und es wird eine längere Zeit brauchen bis diese Kollateralschäden beseitigt sind. 

Aus dem Gesagten leitet sich vielleicht doch noch ein Fazit ab:

Es wird noch viel mentale Arbeit bei Reisenden und bei Gastgebern zu leisten sein, bis das Reisen (z.B. mit dem Wohnmobil) wieder eine solch freudvolle Angelegenheit sein wird, wie wir das in den letzten acht Jahren erlebt haben. Jeder ist aufgerufen seinen Beitrag zu leisten, indem jeder wieder mit Neugier und Empathie auf die Mitmenschen zugeht und die Angst vor Nähe (Ansteckung) überwindet.

Perspektivwechsel: Landblick von einer Müritz-Yacht

In Rechlin sind wir mir Bekannten verabredet, die dort ein „riesiges“ Hausboot liegen haben. Es ist wohl eher ein Schiff aus Stahl und Holz, keine Plastikschüssel, mit zwei Dieselmotoren, die einem modernen Sattelschlepper die Schau stehlen können, nicht nur was die Leistung angeht, sondern auch beim Sound der zu den 17t Gewicht passt.

Wir fahren hinaus über den See zur kleinen Müritz und diese hinauf. Wir lernen das Land von einer ganz anderen Seite, der Seeseite, kennen. Eine wunderschöne Seenlandschaft. Schilfzonen wechseln ab mit üppigem Baumbewuchs, der mich manchmal an Bilder von Mangrovengebieten erinnert. Immer wieder tauchen Gruppen von kleinen Bootshäusern auf. Sie sehen aus wie die Pfahlbauten am Amazonas. Wir taufen die kleine Müritz um zum: „Deutschen Amazonas“. Nur Piranias und Krokodile müssen wir hier nicht fürchten.

Müritz – Bootsfahrt

Wir wollen in einer Badebucht ankern, doch der niedrige Wasserstand in diesem Jahr vereitelt dieses Vorhaben. Wir setzen die Landschaftserlebnisfahrt fort.
Ich darf auch mal ans Steuer. Es ist ein gemächliches dahingleiten. Dennoch ist ein hohes Maß an Aufmerksamkeit erforderlich. Sehr viel vorausschauendes Handeln ist nötig, um sicher um die Biegungen und Untiefen, als auch um Segler und Kanuten herumzusteuern. Auch können Schwimmer auftauchen (und die sind in der glitzernden Wasserfläche ganz schwer auszumachen), die in den Fahrweg einfach nicht hinein gehören, aber trotzdem da sein können.

Müritz – Bootsfahrt

Am Abend, nach dem Zubereiten eines guten Essens in der Kombüse, lassen wir den Abend mit Sekt und Rotwein ausklingen. Dabei wird mir der Goldene Störtebeker Bierdeckel für die erfolgreiche Erststeuerung eines Müritz-Riesen verliehen. Ganz stolz liege ich an diesem Abend in unserer Koje.

Waren an der Müritz – McPom-Ballermann oder Möchte-Gerne-Monaco?

Früh haben wir uns aufgemacht nach Waren/Müritz. Es wird das Kontrastprogramm zu Neubrandenburg werden. Nur, wir wissen es noch nicht.
Wir fahren über Land. Das Land ist überwiegend vom Ackerbau gekennzeichnet. Riesige Felder, die jetzt zumeist schon abgeerntet sind. Hier und da sehen wir noch die großen Rundstrohballen auf den Feldern liegen. Die Meisten sind aber wohl schon im Trockenen und sicher vor überraschenden Gewittern. Nur vereinzelt sehen wir ein paar Kühe auf der Weide.

Der erste WoMoStellplatz an einem Blumencenter ist voll. So steuern wir die 2. Alternative in Waren an: ein Parkplatz in der Nähe des Hafens direkt an der Hafenpromenade. Schon die Zufahrt ist ziemlich eng und eher für PKWs gedacht. Mit Übernachtung 23€ für einen Stellplatz der Größe 2,5 m x 6 m, seitliches Aussteigen nur für schlanke Menschen vorgesehen, sowie Essensdüfte und Ballermann-Gegröhle inclusive. Die einzige Lehre, die wir daraus ziehen können ist: Fahr niemals einen Stellplatz in der unmittelbaren Nähe eines Hotspots an.

Der Hafen – ein Möchte-Gerne-Monaco?

Aber: wir wollen es ja so! und das werden wir noch bitter bereuen. Der erste Weg führt uns zum Hafen. Der Hafen wird umsäumt von allerlei Hafengastronomie, gelegentlich unterbrochen von Häusern mit Ferienwohnungen.

In den letzten Jahren wurden im östlichen Teil des Hafens Luxus-Immobilien direkt an der Kaimauer hochgezogen. Ein großer offener Platz trennt Boote von den Immobilien. Der Platz lädt zum Flanieren ein. Wer allerdings den Fischern bei der Arbeit im Hafen zusehen möchte, der wird enttäuscht sein. Kein einziges Fischerboot weit und breit. Stattdessen Rundfahrtschiffe, Hausboote und Yachten. Die ganz tollen Yachten liegen natürlich direkt an der Kaimauer, damit die Gaffer sie bei ihrem Abendessen an Deck und beim Champus schlürfen bewundern können. Es ist das gleiche Geschäftsmodell wie in St. Moriz, Kitzbühel oder Rottach-Egern. Die Reichen und Schönen bezahlen teure Schiffchen und Liegeplätze, um sich der Illusion von Wichtigkeit, Glanz und Glamour hinzugeben und dem einfachen Volk wird (kostenlos) die Möglichkeit gegeben auch mal (als Gaffer) „hautnah“ dabei zu sein, um für einen kurzen Moment die Illusion zu inhalieren, wie es sich anfühlt „auch dazu zu gehören“.
So bekommt scheinbar jeder was er braucht und will und die Cleveren kassieren ab.

Wir haben auf Bilder dieses seltsamen Treibens zum Schutz der Persönlichkeitsrechte verzichtet und belassen es bei einem Bild mit Anglern, die gegen die Veröffentlichung des Bildes nichts einzuwenden haben.

Die Stadt – Kulisse für ein zweifelhaftes Tourismusmodel?

Waren, ging im frühen 13. Jahrhundert aus einer slawischen Siedlung hervor und wurde durch westfälische Siedler ausgebaut. Acht Jahrzehnte war Waren Residenzstadt der Fürsten von Werle. Jahrhundertelang gehörte die Stadt zu Mecklenburg-Schwerin. Die Folgen des Dreißigjährigen Krieges, zahlreiche Stadtbrände und Epidemien warfen die Stadt in ihrer Entwicklung immer wieder zurück. Heute ist Waren mit rund 20.000 Einwohnern der Hauptort an der Müritz und wohl das Zentrum der Urlaubsregion Mecklenburgische Seenplatte.

Die weitgehend gut erhaltene Altstadt mit vielen historischen Bauwerken ist sehr schön restauriert, ebenso wie die am See liegenden Herrschaftshäuser und Villen zu beiden Seiten des Hafens. Sozialistische Einheitsarchitektur konnte sich hier nur in den Außenbezirken etwas durchsetzen. So ist ein zusammenhängendes Gesamtensemble in Waren erhalten geblieben.

Waren die Stadt der größten Schiffspropeller

Von Frank Liebig – Archiv Frank Liebig, CC BY-SA 3.0 de

Bei einer unserer Radausflüge kommen wir am südlichen Ortseingang an einem ausgestellten Schiffspropeller vorbei. Erst später erfahren wir, dass die Firma Mecklenburger Metallguss der Weltmarktführer für große Schiffspropeller ist. 2006 wurde der bis dahin größte jemals gegossene Schiffspropeller mit einem Gewicht von etwas mehr als 130 Tonnen und einem Durchmesser von 9,6 Metern ausgeliefert. Diesen Weltmarktführer hätte ich in einer Stadt am Meer, aber nicht an einem Binnengewässer erwartet.

Waren – ein Kurort?

Davon haben wir zunächst nichts mitbekommen. Das Flair und die Atmosphäre ist eher „Urlaubsort“. Doch seit den 20iger Jahren des 19. Jahrhunderts ist Waren ein Luftkurort. Nach der Wende wurde dieser Titel der Stadt 1999 erneut verliehen.

Inzwischen gibt es ein Kurzentrum auf dem Warener Nesselberg. Die Nutzung der Warener Thermalsole, führte 2012 dann zur Verleihung des Titels „staatlich anerkanntes Heilbad“

Vielleicht liegt das daran, dass das Kurzentrum etwas abgegrenzt vom Stadtzentrum liegt. Viele Kur- und Heilbäder sind oft auf diese Zielgruppe der Kurenden, der Rehabilitationsgäste usw. komplett ausgerichtet was sich dann auch in der Struktur der Geschäfte und Dienstleistungsbetriebe niederschlägt. Dies trifft auf Waren auf jeden Fall nicht zu. Auch die Namenserweiterung „Bad“ hat die Stadt wohl noch nicht beantragt und wäre aus meinem Erleben auch nicht passend.

Ein Stadtbummel

In Waren geht es deutlich touristischer zu, als in den bisher besuchten Orten. Vor allem Shopping wird stark gefördert. Auf dem Marktplatz vor dem Rathaus ist gerade Wochenmarkt .
Zu unserer Überraschung finden sich dort auch Bekleidungshändler. Das hatten wir zuletzt in ländlichen Regionen Italiens gesehen. In Süddeutschland kennen wir so etwas auf Wochenmärkten schon lange nicht mehr. Es ist ein Kontrastprogramm zum Tourismus-Shopping, das vor allem von Marken, Marken und nochmals Marken geprägt ist. Das es diese Händler auf dem Wochenmarkt noch gibt, sagt etwas über das Verhältnis der Einheimischen zum Tourismus-Shopping aus. Würden sie es uneingeschränkt befürworten, dann wären die Bekleidungshändler auf dem Wochenmarkt schon längst verschwunden. Aber das sind sie nicht! Und das ist gut so.
Und: es sagt etwas über das Preisniveau und das zugehörige Einkommensniveau aus – es klafft auseinander. Während im Tourismus-Shopping Großstadtpreise verlangt werden, passt das Einkommensniveau offensichtlich nicht zu diesem Preisniveau. Die auf die zahlungskräftigen Touristen ausgerichteten Shoppingmeilen sind für die Ortsansässigen tendenziell zu teuer. Und so sind die fliegenden Bekleidungshändler auf diese Zielgruppe ausgerichtet mit einem Preisangebot das zur Einkommenssituation passt. So mancher Tourist mag solche Märkte romantisch finden, dahinter steckt aber letztlich ein System der Ausbeutung, das man in allen angesagten Tourismushochburgen beobachten kann. Die Einheimischen können sich das Preisniveau ihrer eigenen Regionalwirtschaft nicht mehr leisten. Das ist nicht nur in Waren an der Müritz so, sondern auch auf dem Wochenmarkt in einem touristisch vermarkteten toskanischen Bergdorf, in Almeria, Sevilia oder an der Côte d’Azur.

Einen wirklich bleibenden Eindruck hinterlässt Waren’s Shoppingmeile in historischer Kulisse bei uns nicht.

Trompe-l’œil-Gemälde

Doch da ist noch was. Wie schon in Neustrelitz, entdecken wir zwei weitere Illusionsmalereien an Gebäudefassaden, die in der Kunst als Trompe-l’œil-Gemälde bezeichnet werden. Nur hier eben nicht auf Bildern sondern auf Fassaden, wobei die real existierende Umgebung der Fassade mit in die Wirkung des Kunstwerks einbezogen wird. Witzige Ideen für sonst vielleicht langweilige oder gar unansehnliche Gebäudefassaden. Sind diese Illusionsmalereien ein Merkmal für McPom?.

Wo Wasser ist, gibt’s Fischrestaurants

Wo Seen sind, da sind auch Fischer. Und wo es fangfrischen Fisch gibt, da gibt’s auch Fischrestaurants. Das ist in Waren auch nicht anders als anderswo. Nach etwas Suchen haben wir in einer Seitengasse der Altstadt ein nettes Fischrestaurants gefunden. Und wir lassen uns zwei Fischfilets servieren. Ich lerne dabei, dass die kleine Maräne im Süddeutschen Raum als Renke, beziehungsweise am größten Binnensee Deutschlands, als Bodenseefellchen bezeichnet wird. Egal welchen Namen man dem Fisch gibt, beide Fischfilets waren vorzüglich. Der Pfälzer Spätburgunder (natürlich trocken), den ich mir dazu ausgesucht hatte, war gut und passend. Ein Spätburgunder Weißherbst der Machart, wie wir sie in den Kellereien im Badischen vor wenigen Wochen verkostet haben, wäre aber die bessere Wahl gewesen. Leider gab die Karte des Restaurants diese Auswahlmöglichkeit nicht her.
Wer in diese Region fährt, der darf ein Fischessen nicht auslassen. Wohnmobilisten mit Kochkünstlerambitionen können sich auch bei den Fischerhöfen frischen oder frisch geräucherten Fisch besorgen. Die meisten Fischerhöfe haben ein großes Schild an der Strasse. Einfach reingehen, fragen was der See heute ins Netz oder in die Reusen gespült hat und auswählen.
Mein Favorit ist frisch geräucherter Aal.

Den Abend lassen wir auf einer Parkbank direkt am Wasser ausklingen und wir schauen den Vögeln bei ihrem Spiel zu, während die Sonne langsam am Horizont verschwindet.

Waren jenseits von Event- und Shopping-Tourismus

Eigentlich wollten wir weiter fahren. Eine Reifenpanne verhindert dies jedoch. Wir haben uns an der Entsorgungsstation ein dickes Loch in den rechten Vorderreifen gefahren. Die Verriegelung für die Grauwasserentsorgung war nicht vorschriftsmäßig umgelegt und schlitzt unseren Reifen auf.
„Dumm gelaufen“.

Anstatt unser nächstes Ziel anzusteuern, organisieren wir uns erst einmal einen neuen Reifen. Natürlich hat der ortsansässige Reifenhändler keinen Passenden vorrätig. Wir sind ja auch nicht mit einem Polo, Golf oder Astra unterwegs. Das beschert uns einen weiteren Tag in Waren.

Nachdem alles organisiert ist, satteln wir unsere Drahtesel und starten zu einer Tour durch den Müritz-Nationalpark.

So sieht Natur aus, wenn man sie sich selbst überlässt.


Mit welcher Selbstherrlichkeit sind wir Menschen doch unterwegs und glauben immer zu wissen, was das Beste für das größere Ganze ist. Hier können wir sehen: die Natur kann gut für sich alleine sorgen.
Das können wir hier nicht nur sehen sondern auch erleben. Einige betrachten die Fahrt durch den Nationalpark als sportliche Herausforderung. Die werden etwas verpassen. Es ist eine von den Touren, bei denen Langsamkeit erst den Zugang zum Erlebnis ermöglicht.
Hilfreich um das Auge (und die Ohren) auf das Erlebnis vorzubereiten ist, eine Führung von einem Ranger der Nationalparkinformationszentren, von denen es am Rande des Nationalparks wohl mehre an den Zugängen gibt. Sie weisen dem Stadtmensch darauf hin, auf was er achten muss, damit man die interessanten Dinge überhaupt sieht, ob das nun Milane oder Seeadler sind, seltene Pflanzen oder unbekannte Geräusche… . Zeit nehmen und Wahrnehmen ist hier die Devise.

Wir haben vor, bis Rechlin zu fahren, doch einsetzender Regen zwingt uns einen Bootsanleger am Bolter Kanal anzusteuern und von dort aus mit dem Schiff die Rückfahrt anzutreten. Bei Regen sieht das Land von der Seeseite trist, nicht wirklich einladend aus.

In Waren angekommen suchen wir uns nur noch etwas zu essen und wollen früh ins Bett. Daraus wird aber nichts. Erstens, weil in der benachbarten Hafengastronomie Live-Musik angesagt ist und wir mit zwei anderen Wohnmobilisten in der Abenddämmerung, (die Regenschauer haben sich längst wieder verzogen,) dem Ballermann-Krawall gehorchend, bis spät in die Nacht „versumpfen“, denn an schlafen ist bei dem Krach nicht zu denken.

Am nächsten Morgen ist alles fahrbereit, nur der neue Reifen fehlt noch. Die Jungs vom Reifenservice haben sich etwas verspätet, aber sie legen sich ins Zeug (vielen Dank dafür) und wir können fast wie geplant um kurz nach 11 Uhr den Platz in Richtung Rechlin verlassen.

Waren an der Müritz: Ein Fazit

Der Text zuvor macht es wohl schon deutlich: besonders begeistert sind wir nicht. Waren ist letztlich eine noch nicht richtig entwickelte und daher schlechte Kopie fragwürdiger Tourismuskonzepte, wie wir sie in Rottach-Egern, St. Moriz, Monaco oder Venedig vorfinden. Die Voraussetzungen für eine Kulisse einer „Schein-Welt“ ist mit viel Geld und Subventionen entwickelt und geschaffen. Aber die Menschen, die das betreiben sollen, passen dort nicht hin. Die können das nicht! Das sind keine Hollywood-Marionetten und das macht mir die Menschen schon wieder sympatisch – weil sie sich nicht einen Habitus antrainieren der nicht zu ihnen passt und den sie auch nicht leben wollen. Ich bzw. wir bedauern sie, denn sie müssen in ihrer Heimat etwas leben was sie nicht sind. Klar, der eine oder andere verdient damit richtig Geld, aber Authentizität und Lebensfreude können sich die Menschen mit dem Geld nicht kaufen und die, die nicht die große Kohle machen, schon gar nicht. So bleibt ihnen nur ein Spiel mitzuspielen, das zu ihnen nicht passt – oder weggehen.

Aber einen Lichtblick gibt es doch. Der Müritz-Nationalpark könnte ein Ansatzpunkt zu einem Umsteuern im Bereich des Tourismus sein. Um weg zukommen von einem schlecht kopierten Tourismuskonzept aus dem Westen zu einem wirklichen Alleinstellungsmerkmal, das sich aus den Begriffen Natur, Heimat, Authentizität und traditionelle Lebensweise der Menschen speist.

Aber vorerst gilt: Es gibt auch andere Eingänge in den Nationalpark – also Waren an der Müritz muss es nicht unbedingt sein.

Neubrandenburg: zwischen Torpedotestanlage und Backsteingotik

Wir fahren weiter nach Neubrandenburg. Der Wohnmobilstellplatz liegt in einem ehemaligen militärischen Sperrgebiet am Tollensesee

Die Torpedoteststrecke

In den Jahren 1941 und 1942 entstand hier die Außenstelle der Torpedoversuchsanstalt Eckernförde in Neubrandenburg am, bzw. im Tollensesee. Der Standort erschien den damals Verantwortlichen ideal geeignet zu sein, da er weit im Landesinneren liegt und somit Schutz vor Spionage und Bombenangriffen bot. Neben den Hallen an Land, die heute kleinen Firmen und einem Radiosender als Standort dienen, sind im See nur noch die Fundamente der Abschussrampen zu sehen. Wie uns ein Einheimischer erzählte wurden die anderen militärischen Anlagen nach dem 2. Weltkrieg zerstört.

Wir entscheiden uns zunächst für eine Tour rund um den Tollensesee. Überwiegend im Wald verlaufend, was gerade bei hohen Temperaturen sehr angenehm ist. Die Wege sind zwar nicht in einem Top-Zustand, aber wenn das der Preis ist, dass es keinen Turbo-Tourismus gibt, dann bezahle ich diesen Preis gerne.

Backsteingotik pur

Am nächsten Tag satteln wir die Drahtesel zur Stadtbesichtigung Neubrandenburg ist für Europas besterhaltene Stadtbefestigung der Backsteingotik bekannt. Die SED-ldiologie hat aber den historischen Stadtkern durchlöchert  – im wahrsten Sinne des Wortes. Die Stadtmauer und ihre beeindruckenden Stadttore (seit 2019 trägt die Stadt offiziell den Namenszusatz Vier-Tore-Stadt) sind noch komplett erhalten und restauriert.

zerstörtes historisches Gesamtbild

Die Bebauung innerhalb dieser Mauern ist aber leider von sozialistischer Geschmacks-Hegemonie durchseucht. Das was erhalten geblieben ist, wurde wieder in Stand gesetzt. Leider ist an manchen Stellen zu viel durch sozialistische Baukultur ersetzt worden, so dass kein harmonisches Gesamtbild mehr möglich erscheint.

Und während wir vor einem modernen Einkaufszentrum schräg gegenüber von diesem städtebaulichen Frevel diesen Verlust beklagen, rollt auf uns eine Mami-Armada im „Krabbelgruppe-Kampfschritt“ mit ihren Kinderwagen zu, die uns ein amüsiertes Lächeln ins Gesicht zaubern.

Mami-Parade im Gleichschritt 😉
Stadtmauer Neubrandenburg

Entlang der Stadtmauer bekommt man trotzdem ein gutes Bild von der historischen Architektur. Die Backsteingotik zeigt sich besonders auffällig in den „Monumentalbauten der Epoche: den Stadttoren und den Kirchen, die zu damaliger Zeit wohl die wichtigsten Repräsentanzen der Stadt waren und dem Besucher eindrucksvoll zeigen sollten, wo er sich befand. In einer stolzen und selbstbewussten Stadt, die ihren Reichtum und ihren Einfluss durch diese Bauten dokumentiert. Das ist ein Muster der Stadtarchitektur, dass sich schon seit tausenden von Jahren durch die Geschichte zieht. Rom ist das beste Beispiel dafür. Auch wenn ich nun Neubrandenburg nicht mit Rom vergleichen möchte, aber die Muster und die dahinter stehende Motivation ist die Gleiche. Da, wo in jüngerer Zeit Bausubstanz ersetzt werden musste, geschah es behutsam und mit ästhetischem Gefühl. Der innere Stadtbereich ist aber als historisches Gesamtensemble verloren.

Flusssteinpflaster

Auch hier Flusssteinpflasterung wie in Neustrelitz und Fürstenberg, aber etwas moderater. Das macht auch mit dem Fahrrad nicht wirklich Spaß! Vor den Holpereien muss man auf der Hut sein. Als Ortsunkundiger gilt: Den Lenker immer „fest im Griff!“ – sonst droht Handstand-Überschlag mit harter Landung.

Fundstück auf dem WoMo-Stellplatz

Uns gegenüber steht wieder einmal ein außergewöhnliches Wohnmobil mit einem holländischen Kennzeichen. Das ist Minimalismus pur. Platz für Zwei zum Schlafen, aufrecht stehen keine Chance, Minispüle, Gaskocher und Unterschrank für Vorräte und Geschirr für 2 Personen , mobile Campingtoitette unterm Bett und 2 Rucksäcke für Klamotten und Zahnbürste, zwei zusammenklappbare Campinghocker dienen als Sitzgelegenheit für drinnen und draußen – Das war’s. Und während der Fahrt finden auch noch 2 Fahrräder im Innenraum Platz. So etwas sieht man nicht alle Tage.

Das ist schon fast Back-Packing- (Rucksack-)Tourismus auf vier Rädern. Auch die beiden „Insassen“, die später von einer Radtour zurückkommen entsprechen optisch dem Bild des puren Minimalismus und genau so Wortkarg sind sie auch. Ein in sich wirklich stimmiges Gesamtbild 😉

Neustrelitz – Eine spätbarocke Stadtanlage

Auf dem Weg zum Wohnmobilstellplatz durchfahren wir die Stadt und uns fällt, wie schon in Fürstenberg, die Pflasterung mit „Flusssteinen“ auf. Wenigstens die Fahrwege wurden davon verschont. Für Fußgängerinnen ist das aber ein absoluter High-Heel-Killer.

Flusssteinpflaster

Auch unser Wohnmobil mag das gar nicht. Der gerade erst reparierte rechte Seitenspiegel lässt uns das deutlich wissen: er quietscht wieder, wie vor der Reparatur. 😉 Das (mit den Flusssteinen) mag vielleicht dem historischen Vorbild sehr nahe kommen oder entsprechen – wie wir finden, passt dies aber nicht mehr in die heutige Zeit, Denkmalschutz hin oder her. Wir fahren ja heute auch nicht mit einem Ochsengespann auf den Markt-Platz am Freiburger Münster, bloß weil es dem historischen Bild näher kommt als die heute üblichen Transportfahrzeuge wie Fiat Ducato, Mercedes-Sprinter und Co.
Hier wurde unsinniger Weise viel Aufbau-Ost-Geld, im wahrsten Sinne des Wortes, im Boden versenkt. Das hätte sinnvoller angelegt werden können.

Wenigstens hat man hier in Neustrelitz auf den Fahrbahnen auf die Flusssteine verzichtet.

Der Stadthafen ist ein Schmuckstück geworden

Der Stadthafen am Zierker See ist das Tor zur Havelwasserstraße und in die Seenplatte. Hier liegt auch der Wohnmobilstellplatz, der, wie die Bootsliegeplätze, vom Hafenmeister betreut werden. Eingerahmt ist der alte Stadthafen von alten Speicherhäusern. Es ist das erste Mal, dass mir bewusst auffällt, das eine alte Industriebrache, die es in der ehemaligen DDR noch zuhauf gibt, liebevoll restauriert und einer neuen Nutzung zugeführt wurde. (Zugegeben, es sind keine Industriebauten aus der DDR-Zeit sondern aus der Gründerzeit der Stadt und damit eher ein kulturhistorisches Erbe.) Aus den Speicherhäusern wurde ein Hotel und Wohnungen, die von Einheimischen und nicht von Geld-Wessis bewohnt werden. Der Stadthafen dient heute als Anlegestelle für Hausboot -Touristen, von denen wiederum die umliegenden Hafenrestaurants und Cafés profitieren.

Ausflug in die nähere Umgebung

Wir machen eine Fahrradtour am See entlang. Hier finden wir alsbald Industriebrachen jüngeren Datums, um die sich offensichtlich keiner kümmert. Eine Hinterlassenschaft der Wende, die wir immer wieder im Osten gesehen haben. In Gesprächen mit Ortskundigen, die wir darauf ansprechen, wird uns erklärt, dass so manches Grundstück immer noch brach liegt, weil Eigentumsverhältnisse nicht geklärt sind.  Und das 30 Jahre nach der Wiedervereinigung? Ich mag das fast nicht glauben – aber es scheint, vielleicht nicht bei allen (Industrie-)Brachen, so zu sein. Sicher gibt es auch noch andere Gründe, wie der rabiate „Kahlschlag-Umbau“ von Kanzler Kohl der zu blühenden Landschaften führen sollte. Ja, es gibt diese „blühenden Landschaften“ wenn man bei der Reise durch die Blühenden Landschaften immer im rechten Moment ein Nickerchen macht! – Dann, wenn man an den abgewickelten Betrieben vorbei fährt.

Unterwegs begegnen uns aber auch ehemals herrschaftliche Villen, die von früherem Reichtum künden.

Eine Illusion lässt uns inne halten

Und dann bleiben wir vor einem Hotel verdutzt stehen und trauen unseren Augen nicht. Mitten in der eher trist wirkenden Umgebung eine Hofeinfahrt zu einem idyllisch wirkenden mittelalterlichen Hotelanlage…
… oder doch nicht – ist das alles nur eine Illusion?

Wir müssen schon drei mal hinschauen, bevor wir Illusion und Wirklichkeit von einander unterscheiden können.
Auf jeden Fall haben die Macher des Fachwerk-Graffiti ihr Ziel erreicht: Sie haben die Aufmerksamkeit der Vorbeikommenden auf ihr Werk und damit auf das Hotel gezogen, wo sonst der Blick einfach vorbei gerauscht wäre.

Zurück in die Zukunft des Spätbarock

Auf dem Rückweg fahren wir durch die Stadt und verbotener Weise durch den Schlossgarten. Die frühere Residenzstadt der Herzöge von Mecklenburg-Strelitz wurde im Spätbarock gegründet. Dem entsprechend herrscht in der weitgehend erhaltenen historischen Bausubstanz die Architektur und Gartenkunst des 18. und 19. Jahrhunderts vor. Sehenswert sind die Schlosskirche und die Orangerie, ein schöner klassizistischer Gartensalon, der heute als Restaurant genutzt wird.

Einen Tag Seele baumeln lassen

Wir sind ja nicht auf der Flucht – also dürfen wir auch mal einen Tag nichts tun, so meint es zumindest WoMoline. Die Gelegenheit ist günstig, denn einen solchen mustergültigen WoMoStellplatz findet man nicht jeden Tag. Sogar mit „begrüntem Vorgarten“. Hier hat man tatsächlich ca. 3 m breite Parkbuchten für die Wohnmobile geschaffen an denen, durch Bordsteine getrennt, Rasenflächen mit etwa doppelter Markisenbreite angrenzen. Und diese werden auch regelmäßig gemäht. Herzlichen Dank an die Verantwortlichen der Stadt.

Zu einem Relaxingtag gehört natürlich auch etwas Gutes zum Essen. Und das hat WoMoline aus den Resten im Kühschrank gezaubert:
frisches Pfifferlings-Zucchini-Ragout mit selbst gemachten Semmelknödeln.

Eine Begebenheit zum Schmunzeln

Auf dem Wohnmobilstellplatz, der gut besucht ist, steht ein älteres Wohnmobil mit etwas derben Bewohnern und einem nervig, dauerkläffenden Hund. Dieser Hund verbellt alles was vorbei kommt – ob Nachbarn, andere Hunde, Enten, einfach alles. Die Besitzer werden dem Gekläff einfach nicht Herr und machen aus der Not eine Tugend. Sie feuern das Gekläff auch noch an, was wiederum zu umliegendem Kopfschütteln führt. Einige stellen sich sogar in Sichtweite der Hundebesitzer auf und drücken mit verschränkten Armen und starrem Blick ihr Missfallen aus. Das führt aber zu keinerlei Reaktion. Angesprochen hat die Hundebesitzer aber auch niemand. Manchmal muss man solche Zeitgenossen ertragen, oder den Standort wechseln. Das haben wir auch am nächsten Tag getan.

Beschaulichkeit im Norden Brandenburgs

Werder an der Havel ist nicht weit weg von Schloss Sanssouci. Als wir das letzte Mal in Berlin waren, haben wir auf der Rückfahrt Potsdam und dieses Schloss besucht, aber die Zeit, die uns zur Verfügung stand, war viel zu kurz. So überlegen wir, ob das eine Gelegenheit wäre dies nachzuholen. Nach kurzer Überlegung befinden wir aber einstimmig: Uns steht jetzt der Sinn nicht nach Preußen und geschichtspolitischen Geistesergüssen.

Also fahren wir weiter nach Fürstenberg. Wiesen und Felder säumen unseren Weg. Und – immer wieder Alleen. Die Alleen scheinen ein Kennzeichen der Verbindungswege in dieser Region zu sein. Sie spenden Schatten, sorgen für einen Windschutz und geben in diesem flachen Land Orientierung.

Fürstenberg/Havel ist eine Stadt an der Oberhavel und liegt im Norden Brandenburgs. Wegen der Vielzahl an Seen, Flüssen und Bächen, die die Stadt prägen, führt Fürstenberg auch die Zusatzbezeichnung Wasserstadt. Es gibt gleich drei Stadtseen, die alle irgendwie mit einander verbunden sind. Fürstenberg ist landschaftlich idyllisch gelegen wie wir bei der Anfahrt feststellen können. Der Ort selbst wirkt eher beschaulich und schön renoviert. Sonst scheint es nicht allzu viel zu sehen zu geben. Der Bär tobt woanders. Den Schildern nach zu urteilen, ist dieses Gebiet ein gut erschlossenes Radwandergebiet. Ebenso dürfte Flusswandern mit Kanu oder Kajak, wie wir beobachten können, hier im Trend liegen. Abseits der großen Touristenströme kann man sicher gut seine Seele baumeln lassen. Wie das allerdings ist, wenn am Wochenende die Berliner „einfallen“, Berlin liegt schließlich nur einen Katzensprung entfernt, weiß ich nicht. Nichts lässt darauf schließen, dass es hier zugeht wie im Falle Münchens am Starnberger See, oder am Tegernsee.

Wir fahren nach einem Stück Kuchen und einem Cappuccino weiter nach Neustrelitz, denn wir sind ja noch nicht in McPom, sondern am nördlichen Ende Brandenburgs.

Dolce Vita und Feste feiern in Bracciano

Braccianosee 1Bracciano liegt ungefähr 40 km nordwestlich von Rom an einem See, der nach dieser Stadt benannt ist. Die Stadt liegt auf dem Kraterrand eines alten Vulkans. Unser Übernachtungsplatz liegt etwa auf halber Höhe zwischen den Stadtzentrum und dem See. Im Gegensatz zu Bolsena sind hier in Bracciano die Kraterhänge wesentlich steiler und auch höher. Wer hier herumspazieren möchte, sollte vernünftiges Schuhwerk dabei haben. Den Weg vom See in die Stadt oder umgekehrt mit Flip Flops zu bewältigen, gleicht dem Versuch, den Watzmann mit Stöckelschuhen zu bezwingen. Auch Radfahren ohne maximalelektrische Unterstützung kann man getrost vergessen. Aufgrund der hier herrschenden schlechten Straßenverhältnisse, macht Radfahren am Braccianosee ohnehin keinen Spaß. Aber das alles stört uns erst einmal nicht, denn wir wollen relaxen und wenn es uns gar zu heiß wird, auch mal am Kiesstrand in dem kristallklaren Wasser baden gehen.

Alles ist hier beschaulich. Von der Hektik der Großstadt ist hier nichts mehr zu spüren. Bracciano 1 WoMoKatzeAls wir vom See zurück kommen, ist uns eine Wohnmobil-Katze zugelaufen und beansprucht einen unserer Campingstühle. Die Kleine wird uns so lange wie hier sind auch nicht mehr aus den Augen lassen. Die scheue Mutterkatze ist aber immer in der Nähe und macht uns durch ihr misstrauisches Beobachten klar, dass sie uns die Augen auskratzt, wenn wir ihrem Nachwuchs etwas zuleide tun. Um keinen Konflikt mit der Mutterkatze zu riskieren 😉, wird das kleine Wollknäuel von uns während unseres Aufenthalts gut versorgt und darf in unseren Campingstühlen schlafen.

Das öffentliche Leben ist fast eine Kopie zu Bolsena. Das können wir bei unseren morgendlichen Cappuccinopausen in der Stadt feststellen. Wie in Bolsena beobachten wir ein äußerst aktives Gemeindeleben auf den öffentlichen Plätzen und Straßen.

 

 

Man kennt sich, man pflegt die Beziehungen wann immer sich eine Möglichkeit dazu bietet. Ob im Kaffee, auf dem Wochenmarkt, im Alimentari oder einfach im Vorbeigehen auch hier in Bracciano ist den Menschen das wichtig.

Bracciano 2 RenovierungsstauIn der Stadt selbst lässt sich ein noch recht großer Renovierungsrückstau beobachten. Auch ist das historische Gesamtensemble nicht mehr so lückenlos wie in Bolsena vorhanden. Bausünden aus der Nachkriegszeit stören deutlich das Gesamtbild. Die alles überragende Burg von Bracciano macht hier eine Ausnahme. Sie ist frisch renoviert und zu einem Museum ausgebaut. Bracciano 3 BurganlageAn vielen Stellen in der Stadt kann man erkennen, das nach und nach die alte Bausubstanz wieder in einem sanierten Zustand gebracht wird. Das wird aber noch viele Jahre in Anspruch nehmen.

Am Wochenende ist Straßenfest mit Kunsthandwerkermarkt, Feuerschlucker und Darbietungen unterschiedlichster Vereine der Stadt wie z.B. den Cheerleders, die von einem Platz zum nächsten ziehen und Einwohner wie Gäste mit ihrem Können beeindrucken. An nahezu jeder Straßenkreuzung  hat sich  eine Musikgruppe platziert. Nachdem sich alle Musiker eingespielt haben, wird es je nach Standort der Zuhörer streckenweise sehr laut und ziemlich schräg. Auch die Gaumenfreuden kommen bei diesem Stadtfest nicht zu kurz.

Bracciano 4 AperetivoWir genehmigen uns erstmal einen gepflegten Aperitivo und schauen von unserem exponierten Sitzplatz dem Treiben in der Stadt zu. Gerne hätten wir noch ein oder zwei Gläschen mehr zu uns genommen, doch wir müssen an den Rückweg und den steilen Weg hinunter zu unserem Wohnmobil denken, den wir auf jeden Fall unfallfrei in der Dunkelheit bewältigen wollen.

Zu diesen Stadtfesten in den Sommermonaten, so sagt man uns, gehört in Italien normalerweise immer ein Feuerwerk dazu. Die Zeit bis zum Beginn lassen wir uns von diesen Jazz Old Stars vertreiben.

 

 

Wie die italienische Finanzpolizei unsere Reisepläne durchkreuzt

Wir haben nördlich von Roms Flughafen bis hinauf nach Santa Marinella eine ganze Reihe von Wohnmobilstellplätzen direkt am Meer ausfindig gemacht. Doch welchen wir auch immer ansteuern, alle Einfahrttore sind geschlossen, niemand da. Ja, die Feriensaison ist vorbei. Wir können uns aber nicht vorstellen, das jetzt schon um Rom herum, total tote Hose ist. Gut, es ist 12 Uhr vorbei und es könnte ja Siesta sein. Doch dort wo Badebetrieb herrscht, haben wir so etwas noch nicht erlebt.

Dann füllen wir eben erstmal im nächsten Conad Superstore in Ladispoli unsere Vorräte und unseren Kühlschrank wieder auf und hoffen darauf dass wir etwas später mehr Glück haben.

Wir Rumpeln wieder die Küstenstraße entlang, die mehr aus Schlaglöchern besteht als aus Fahrbahnbelag. Hier sollen sich gleich vier Wohnmobilstellplätze in Meeresnähe befinden. Hurra, gleich beim ersten ist das Tor geöffnet. Wir fahren hinein doch alles sieht leer aus. An den Dünen steht ein größeres Holzhaus und daneben liegen viele Sportboote auf dem Sand. Sonst ist nichts zu sehen, alles ist ruhig. Komisch!

Wir fahren weiter in das Areal hinein. Auf einmal kommt uns ein korpulenter Herr mittleren Alters entgegen, der uns wie ein Flugfeldlotse auf einem Flughafen mit sich überkreuzenden Armbewegungen signalisiert, dass wir anhalten sollen. Wir haben verstanden, drehen um und verlassen das Gelände wieder. Die Szenerie wiederholt sich fast identisch auch am nächsten Platz. Der übernächste Platz ist verrammelt wie schon zur Mittagszeit. Wir rumpeln weiter über die reparaturbedürftigen Küstenstraßen zum nächsten Platz. guardia_di_finanzaAuch hier wieder geöffnet, aber niemand da. An den vorangegangenen Plätzen war uns ein kleiner weißer Zettel an den Informationsschildern an den Zufahrtstoren aufgefallen, den wir aber bisher keine Beachtung geschenkt haben. WoMoline steigt aus um Informationen über das, was hier vorgeht, zu erhalten. Den Text versteht sie nicht, aber die Unterschrift ist eindeutig: Guardia di Finanza

Die italienische Finanzpolizei, Guardia di Finanza, ist zuständig für das Thema Steuerhinterziehung in Italien. Schon seit vielen Jahren versucht die italienische Finanzpolizei durch Zuordnung von Luxusgütern, wie z.B. sündhaft teuren Sportwagen, Sportbooten und Freizeityachten, wertvollem Schmuck der z.b. bei Casinobesuchen oder Kulturveranstaltungen getragen wird, nachzuweisen, dass diese Güter mit dem bei den Finanzbehörden angegebenen Einkommen nicht hätten bezahlt werden können. guardia-di-finanza-autoAuf diese Weise versucht die Finanzpolizei Steuerhinterzieher dingfest zu machen. Dazu werden immer wieder an geeigneten Orten entsprechende Razzien durchgeführt. Davon war schon immer mal wieder in den Medien zu lesen. Ganz offensichtlich sind wir in eine solche flächendeckende Razzia geraten, bei der alle Strandbäder eines Küstenabschnitts, die auch Sportboote in Verwahrung haben, gleichzeitig von den Finanzbehörden „besucht“ werden.

Wir entscheiden uns keine weiteren Experimente zu machen. Wir fahren zum Braccianosee und hoffen auf eine ähnlich schöne Zeit, wie wir sie in Bolsena hatten.

Braccianosee 1