Es ist Wochenenende und noch immer August (wo sich scheinbar ganz Italien am Strand trifft). Wir hätten es uns denken können. Alle Stellplätze in Meernähe sind belegt. Nun ist alles klar, es wird eng mit den WoMo-Übernachtungsplätzen.
Doch in Lido di Camaiore haben wir Glück. Auf dem offiziellen Stellplatz ist zwar alles belegt, doch direkt nebenan befindet sich ein Parkplatz für Pkws an der Rückseite eines 5 Sterne Hotels. Hier stehen schon einige Wohnmobile, die wohl auch vor verschlossener Schranke standen und hierher ausgewichen sind. An der Einfahrt befindet sich der Hinweis „No Camping“ dies scheint aber niemanden zu stören. Uns nun auch nicht. Wir werden bald erfahren warum die Polizei, wenn sie vorbeifährt, immer in die andere Richtung schaut. 😉

Zunächst aber erst einmal ans Meer! An der Uferstraße reihen sich die Bagnos (Strandbäder) auf wie Perlen auf einer Schnur. Egal in welche Richtung wir uns bewegen, ein Blick aufs Meer ist nur schwer zu erhaschen. Jetzt zur Nachmittagszeit scheint hier alles noch verschlafen zu sein. Die Parkplätze sind zwar gut gefüllt, doch der Verkehr an der Promenade hält sich in Grenzen. Anders an der Grenzlinie zwischen Meer und Strand. So weit das Auge reicht: Horizont, Wasser, Sand und Menschen. Das was Italiener im Augusto so lieben. Frühestens um 10 Uhr an den Strand, braten und chillen im Bagno unter Sonnenschutz-einrichtungen, ab und an einen Strandspaziergang machen und wenn es gar zu heiß wird, den Body im Meer abkühlen. Wem das zu langweilig ist, der geht am nächsten Tag in ein anderes Bagno, in dem die Gäste mit gutem Essen, Strandbarromantik oder mit sportlichen Wasser- und Land-Bespaßungsangeboten unterhalten werden. Die, die dafür noch keinen Animateur brauchen, sieht man dann auch schon mal in Joggingschuhen und Jogging-Dress die Strandpromenade bei 35 Grad+ hinauf und hinunterhetzen. Natürlich, wie es sich für einen Italienet gehört, immer mit Knopf im Ohr und I-Phone mit Fitnesssensor am Oberarm mit Gummiband fixiert.😂
Der Bär beginnt erst zu toben, wenn sich die Sonne wieder dem Horizont nähert. Dann aber richtig.

Am frühen Abend verschwinden die Strandschönheiten für kurze Zeit, um sich aufzubrezeln. Dann werden die Ferraris, Masseratis und Lamborghinis aus den Garagen für den nächtlichen Showcorso geholt und die Auspuffanlagen werden schon einmal vorgeröhrt und -geglüht. Je dunkler es wird um so mehr (meist Italiener) sind auf den Beinen. Mit Kind und Kegel, so scheint es.
Gut, ich übertreibe ein bisschen. Das ist eher der Standard in Viareggio. In abgespeckter Form gilt es aber für die gesamten 40km, die sich allabendlich in den Sommermonaten zur längsten Partymeile Europas verwandeln.
Und nun die Schattenseite:
Die Aufbrezelzeit ist vorbei und die uns umgebenden Italiener sind schon längst auf dem Catwalk unterwegs. Mehrere uralt PKWs, mit den noch ganz alten schwarzen italienischen Autokennzeichen, fahren auf den Parkplatz. Dass diese Dinger überhaupt noch fahren, grenzt an ein Wunder. Bei diesen mindestens 30-40ig Jahre alten Vehikeln gilt wohl die alte VW-Käfer-Regel: was nicht dran ist, das kann auch nicht kaputt gehen.
Sie stellen sich in die verbliebenen Zwischenräume die die Wohnmobile noch frei gelassen haben und die Insassen beginnen nach und nach den Fahrzeuginhalt auszuräumen. Es sieht so aus, als ob sie ihre gesamte Habe aus dem hinteren Teil des Fahrzeugs in den vorderen umräumen oder im nahen Gebüsch verstecken. Und tatsächlich die Fahrzeuginsassen richten sich improvisierte Schlafkojen ein. Sie sind von Erscheinungsbild her Nordafrikaner. Man hat sich ja schon an die meist illegalen Strandverkäufer von Sonnenbrillen, Hüten, Schals, Strandbekleidung und inzwischen auch „Selfy Sticks“ gewöhnt, die kennt man schon seit 30ig Jahren. Doch das sind meist Schwarzafrikaner. Diese scheinen mir eher Lybier, Ägypter, Algerier oder Marokkaner zu sein. Flüchtlinge?
Menschen, die vor zwei oder drei Jahren noch die Insel Lampedusa und die italienischen Küsten „überschwämmten“? Damals erklärte unsere Regierung das, mit dem Verweis auf „europäische Verträge“, zum inneritalienischen Problem, bevor auf einen Schlag mehr als 900 Menschen an einem Tag im Mittelmeer versanken. Sind das diese Menschen?
Mir erscheint das so. Es sind, wie sich später herausstellt, Menschen die ihre Hilfsdienste in den Strandbetrieben anbieten und für einen Hungerlohn versuchen, sich existentiell über Wasser zu halten. Die, die jetzt Party machen, können das nur, weil es auf der anderen, der unsichtbaren Schattenseite, diese Menschen gibt, die die Drecksarbeit machen und dann noch in völlig ungeeigneten Fahrzeugen auf dem Parkplatz „wohnen“. Sie kochen dort mit CampingGaz-Kochern, breiten ihren Gebetsteppich aus, gehen dort ihren religiösen Ritualen nach und nutzen die Infrastruktur des gegenüber liegenden Wohnmobilstellplatzes für rudimentäre Körperhygiene und zur Verrichtung ihrer Notdurft.
Nun ist uns klar, warum die Polizei, immer wenn sie vorbeikommt – und das tut sie während unserer Anwesenheit oft – immer „zufällig“ zur anderen Straßenseite schaut. Diese armen Menschen sind schon zu bedeutend für das perfekt funktionierende Bespaßungssystem vorne am Strand geworden. Auch dort am Strand ist der Preis ein bedeutendes Wettbewerbsargument. Wenn an der Preisschraube nicht mehr gedreht werden kann, dann kann der Profit nur durch drücken der (Lohn-)kosten noch erhöht oder erhalten werden. Und damit sich an der „schönen heilen Welt“ auch ja nichts ändert, wird eben auch „offiziell“ weggeschaut!

Die meisten dort vorne auf der Partymeile ahnen nicht einmal etwas von dem, was sich an den versteckten Plätzen in der dritten oder vierten Straßenreihe, abseits der Strandpromenade, abspielt. Und die, die doch etwas mitbekommen, wie so manche unserer Parkplatznachbarn, die wollen das vielleicht auch gar nicht so genau wissen. Es ist ja schließlich Urlaubszeit und zu der passen keine Probleme, die man durch den eigenen Hunger nach Party irgendwie vielleicht auch selbst ein wenig mit verursacht hat.