Unsere Flucht aus Linz wird zunächst von unserem Navi sabotiert.
Es ist zwar schon etwas betagt, aber es hat vor 4 oder 5 Monaten ein Update bekommen. Es kennt seitdem die allermeisten Kreisverkehre, aber ich wundere mich seitdem auch manchmal über die Routenvorschläge. Doch heute wurde es extrem. Für eine Strecke von ca. 50 oder 60km veranschlagte es eine Fahrzeit von mehr als 4 1/2 Stunden. Wir suchten nach der Ursache, fanden aber keinen Grund. Wir versuchten es mit verschiedenen Zieleingaben. Aber einfach an der Donau entlang war unserem Navi zu trivial. Wir fuhren zurück zum Donaustellplatz in Linz, in der Hoffnung, von dort aus den Weg mit Hilfe klassischer „Schildernavigation“ zu finden. Das ging dann auch ganz gut. Man verlernt ja doch nicht alles. Dem Navi haben wir beleidigt nach dem gefühlt 30sten Mal „Bitte wenden“ den Saft abgedreht.
Unser Weg führt uns entlang der Donauauen Richtung Osten. Die Bäume und Sträucher der Donauauen verdecken oft den Blick zum Wasser. Wir fahren entlang eines scheinbar undurchdringlichen Donauurwaldes. Irgendwie ein bisschen Amazonasfeeling 🙂 aber ohne Moskitos und mit europäischem Reisekomfort. Die Auen wechseln ab mit einer klar abgegrenzten Flußlandschaft. Hier das Wasser, dort das Land, dazwischen Schutzwälle oder Schutzmauern gegen das gefürchtete Hochwasser.
Einen ersten längern Halt legen wir in Grein ein. Und nun wird die am Vortag in Linz eingekaufte Linzer Torte lustvoll den Geschmacks- und anschließend den Verdauungsorganen zusammen mit einem Cappuccino zugeführt.
Wäre es nicht so kalt, es wäre ein guter Ort für eine Radtour entlang der Donau gewesen. Doch so belassen wir es dabei, den vielen Radlern beim Übersetzen mit der Fahrradfähre zuzusehen. Schon im Ort war uns die große Anzahl von Fahrradreisenden aufgefallen. An der Fährstation hatte sich eine riesige Warteschlange entwickelt. Wohl ein Nadelöhr für Radtouristen.

Wir fahren weiter nach Melk. Wenn wir über die Donau blicken entdecken wir immer wieder Gruppen von Radfahrern. Wir sind uns einig, wir wollen mit denen heute nicht tauschen.
Dafür ergötzen wir uns an der grandiosen Natur, an den vielen Nuancen des Grüns der Bäume und Wiesen, an den mal bedrohlich wirkenden Abhängen links und rechts der Donau, die sich mit lieblichen Landschaften, die eher „heile Welt“ verkörpern, abwechseln.
Kloster Melk. Schon von weitem erkennt man das imposante Bauwerk. Der Platz wurde von den Erbauern sehr bewusst gewählt. Weithin sichtbar weist es den Weg zu einem spirituellen Ort, dessen Ursprünge teilweise noch im Dunkeln liegen. Früher hatte ich mir immer, wenn ich nach Wien musste (meist beruflich) vorgenommen, in Melk einen Boxenstop einzulegen. Doch nie hat das geklappt.
Aber jetzt! Wir haben eine Abstellmöglichkeit für unser WOMO gefunden. Von der Zufahrtsstraße biegen wir in einen liebevoll restaurierten Ort ein. Wir durchwandern den Ort, gespickt mit Touristenläden und versuchen uns vorzustellen wie wir wohl im Mittelalter diese Kulisse erlebt hätten.
Heute wirkt sie aufgeräumt, sauber und einladend. Wir haben den Anstieg erklommen. Mächtig stehen die Mauern des Benediktinerklosters vor uns. Bevor wir überhaupt das Wichtigste dieses UNESCO Weltkulturerbes betreten haben ist uns klar, warum Melk zum Weltkulturerbe erhoben worden ist. Es hat eine großartige Ausstrahlung! Einen besseren Begriff dafür habe ich in meinem Wortschatz nicht parat.
Bilder können dies nicht transportieren und seien sie noch so professionell aufgenommen, sie können bestenfalls den Wunsch auslösen, diese Großartigkeit persönlich erleben zu wollen.
Und da ist sie auch schon, die Kehrseite der Medaille. Touristenströme die so gar nicht zu der Größe und Würde dieses Ortes passen wollen. Der ganze Ort, inklusive des Klosters, herausgeputzt wie es Heerscharen von Touristen erwarten, mit Shopping-Beiprogramm und Geschichtsschnellbleiche. Heerscharen von Donaukreuzfahrern (etwa 3-5 Omnibusse pro Schiff), die die 1500 m von der Anlegestelle in Melk bis auf den Klosterberg (mit extra angelegten Busparkplatz!) gekarrt werden, werden im Stundenrhythmus durch Kloster, Klostershop, Museum und Klosterpark von kundigen Guides hindurchgetrieben 😉 um zu verhindern, dass ein „Menschenauflauf“ (mit Speckstreifen garniert😂) entsteht.
Uns ist schon bewusst, dass die Unterhaltung eines solchen Kulturerbes riesige Summen verschlingt, die auf irgendeine Weise erwirtschaftet werden müssen. Das ist nicht mehr durch die Einwohner der näheren Umgebung zu leisten. Der Tourismus scheint die einzige Möglichkeit zu sein. Aber genau dieser droht den Ort zu entwürdigen.
Ein Dilemma wofür auch ich keine überzeugende Lösung anbieten kann.
Auf der anderen Seite wurden einst diese Kulturdenkmäler von Menschen erschaffen, die zu ihrer Zeit nur ein Bruchteil der Produktivität unserer Zeit erreichten. Sie haben nicht nur die künstlerische, handwerkliche und architektonische Leistung vollbracht, die wir so oft bewundern, sie haben zusätzlich auch die Finanzmittel dafür erwirtschaftet. Das lässt mein Haupt ehrfürchtig sinken vor der Leistung dieser Altvorderen!!