Das Bild, welches sich in Osimo in unseren Kopf gebrannt hat, bestätigt uns auch Recanati, das auf einem weiteren Hügel steht, in Sichtweite zu Loreto. Dort finden wir einen Parkplatz direkt neben dem Friedhof, der unterhalb der historischen Stadtmauer und einem der Stadttore liegt. Friedhöfe verraten bekanntlich viel über die, die in dem Ort leben.
Wie in vielen Regionen Italiens üblich, finden wir Bestattungshäuser, Gruften und Bestattungsmauern. Auf den ersten Blick erscheint der Friedhof wie eine Stadt der Toten. Doch an den vielen Blumen und Lichtern erkennen wir, dass es beileibe keine tote Stadt ist. Es ist die Stadt der Ahnen. Eine Stadt mit Häusern, in denen die Ahnen der Familien präsent sind. Hier ist der Platz für die Lebenden, um mit ihrer Tradition, ihren Wurzeln und ihrer Herkunft in Kontakt zu treten.
Wir spüren etwas von der spirituellen Verbundenheit der Menschen mit ihrer Region und ihren Ahnen. Es ist etwas, ein nicht wirklich beschreibbares Gefühl, dass wir auch schon in der Basilika in Loreto, in den Kirchen und auf dem Wochenmarkt in Osimo wahrgenommen haben. Auf jeden Fall sind hier die Toten nicht auf einem Friedhof „weggesperrt“. Sie sind Teil der Tradition und Teil des täglichen Lebens.
Aus einer der Friedhofsgassen kommt uns ein älterer Herr entgegen. Er grüsst uns sehr freundlich, als ob wir gerade in ein Cafe oder in eine Trattoria eingetreten sind; nicht so anmutig traurig, wie wir es von unseren Friedhöfen gewohnt sind. Mir scheint auch das ein weiteres Indiz für die spirituelle Verbundenheit der Menschen mit ihrer Heimat, ihrer Stadt und ihrer Geschichte, repräsentiert durch ihre Ahnen, zu sein.
Wir sind zur späten Mittagszeit in Recanati angekommen. So präsentiert sich uns das Städtchen nahezu leer. ES IST MITTAGSPAUSE. Und die Mittagsruhe wird hier ernst genommen
, wie in vielen südlichen Ländern. Bis 16 oder 17 Uhr regt sich hier gar nichts mehr. Wir haben sogar Schwierigkeiten einen Cappuccino aufzutreiben. An der beeindruckenden Stadtmauer finden wir dann doch noch eine Selbstbedienungsbar, die ein schmales Angebot für „überhitzte“ Touristen bereithält. Wir genießen die Aussicht und warten darauf, dass das Leben in der Stadt wieder beginnt.
Der Stadtrundgang zeigt uns auch hier einen alten italienischen Ort mit einer mächtigen Festungsmauer. Die Bebauung reicht vom einfachen Steinhaus bis zur hochherrschaftlichen Stadtvilla. Unzählige Fotomotive, romantische Gassen… Wir genießen einfach die Bilder, die sich vor uns auftun. So sieht eine italienische Stadt in der Provinz Marken ohne ihre Bewohner aus.
Historisch gesehen hat die Stadt eine besondere Persönlichkeit aufzuweisen. Normalerweise werden Päpste von ihrem Chef abberufen. Doch einige wenige haben zuvor, wie der deutsche Kardinal Ratzinger, abgedankt. Papst Gregor XII ließ sich hier nach seiner Abdankung, die im Gegensatz zu Pabst Benedikt XVI nicht ganz freiwillig erfolgte, in Recanati nieder und fand dann zwei Jahre später im Dom San Flaviano seine letzte Ruhestätte.
Wir bevorzugen die Stadt wenn sie wieder mit „Leben gefüllt ist“. Dann werden die alten Gemäuer auf einmal lebendig und erzählen uns ihre Geschichte vom Auf und Ab, von Dolce Vita und tiefer Trauer, von Zusammenhalt aber auch von Auseinandersetzungen, von Hoffnung und Enttäuschung, … die alle Teil ihrer Geschichte und Tradition in einer wunderschönen Landschaft sind.