Zu Besuch in Weimar – der Wiege der deutschen Demokratie

Selbstbewusst schreibt die Stadt Weimar auf ihrer Webseite:

„Weimars Vielfalt überrascht Besucher immer wieder auf’s Neue. In keiner anderen deutschen Stadt vergleichbarer Größe hat sich so viel deutsche und europäische Kulturgeschichte abgespielt.“

Goethe und Schiller Denkmal

Diese Selbstbeschreibung ist keine marketinggetriebene Übertreibung. Immerhin kann Weimar für sich in Anspruch nehmen, der ersten deutschen demokratisch legitimierten Republik seinen Namen zur Verfügung gestellt zu haben.

Weimar war auch im Bereich von Kunst und Kultur ein Anziehungspunkt für bedeutende Kunstschaffende.

Bach und Liszt wählten Weimar zu ihrem Schaffens- und Lebensmittelpunkt. Der Komponist Johann Nepomuk Hummel, einer der berühmtesten Klaviervirtuosen seiner Zeit, arbeitete zwanzig Jahre in Weimar. Richard Strauß erschuf „Don Juan“, „Macbeth“ und „Tod und Verklärung“ in Weimar, wo diese bedeutenden Stücke der Musikgeschichte auch uraufgeführt wurden. Die Oper „Hänsel und Gretel“ von Engelbert Humperdinck erlebte 1893 mit der damaligen Hofkapelle ebenfalls ihre Uraufführung in Weimar.

Auch Schiller und Goethe waren für längere Zeit in Weimar heimisch. Ihre Wohnhäuser sind heute noch zu besichtigen. Es ist schon fast selbstverständlich, dass diese beiden großen Deutschen mit einem Denkmal vor dem Deutschen Nationaltheater auf dem Theaterplatz geehrt werden.

Haus der Weimarer Republik

Gegenüber dem Deutschen Nationaltheater und dem Denkmal für Goethe und Schiller befindet sich heute das Haus der Weimarer Republik. Dieses Museum und Begegnungstätte zog rund 100 Jahre nach der Weimarer Republik in dieses schöne Gebäude ein, nachdem das Bauhausmuseum, das bis dahin dort residierte, in seine neu geschaffenen Räumlichkeiten umgezogen war.
 
Nach seiner Gründung sollte das Staatliche Bauhaus in Weimar das Design und die Architektur weltweit revolutionieren. Mit der Gestaltungsschule verbinden sich Form- und Farbexperimente, Architektur-Ikonen und Alltagsdesign, rauschende Feste und minimalistische Entwürfe. Der Gründerkopf, Walter Gropius holte 1919 die europäische Künstleravantgarde in die Stadt und schuf damit den Nukleus und den Rahmen der modernen Architektur und funktionalen Designs.

Bei soviel Wichtigem und Berühmtem verwundert es nicht, das Weimar gleich zwei Mal mit dem Titel UNESCO Welterbe aufwarten kann. Zum einen als ‚Klassisches Weimar‘ und zum anderen als Teil des ‚Bauhaus und seinen Stätten in Weimar, Dessau und Bernau‘.

Wir erleben Weimar als eine sympathische, fast verträumte Kleinstadt mit historischem Ortskern, die sich uns sehr gepflegt und großteils restauriert präsentiert. Und wo das noch nicht passiert ist, da werden notfalls nur noch die Fassaden erhalten und das Innenleben des Gebäudes komplett neu gebaut.

Wer Großstadthektik sucht, der wird sich in Weimar langweilen. Es gibt keine übertriebene Eile, kein sich wichtig tun oder sich darstellen müssen. Manch einer mag das als bieder empfinden, auf mich wirkt es wohltuend entschleunigend. Eine sehr angenehme Atmosphäre. Die Schillerstraße mit den schönen schattenspendenden Bäumen, die die Straße säumen, sind das Abbild dieser angenehmen Atmosphäre.
Natürlich verfolgen einen die deutschen „Wortkünstler“ Goethe und Schiller auf Schritt und Tritt. Da ein Museum, dort eine Apotheke, hier die Schillerstraße und dort der Goetheplatz und ein Stückchen weiter ein Schokolädchen, das Goethe im Namen trägt.

Wir sind in Weimar zu einem Zeitpunkt unterwegs, an dem der Tourismus nach dem Lockdown 2020 noch nicht wieder vollständig angelaufen ist. Es mag sein, dass wir zu einem anderen Zeitpunkt die Atmosphäre in Weimar anders wahrgenommen hätten. Es gibt dennoch eine ganze Reihe von Indizien, die unsere Wahrnehmung bestätigen.

So sind z.B. die Einkaufsmöglichkeiten nicht primär auf Touristen ausgerichtet, sondern auf die Alltagsbedürfnisse der in Weimar und Umgebung lebenden Menschen. Merkmale wie z.B. in Tauberbischofsheim, Rüdesheim oder … (ich glaube, jeder der gern auf Reisen ist, kennt solche Orte), die auf eine „Entheimatung“ der ortsansässigen Bevölkerung durch den Tourismus hinweisen, haben wir in Weimar nicht entdeckt. Auch die unmittelbare Nähe zu der thüringischen Landeshauptstadt Erfurt scheint dem städtischen Leben in Weimar nicht zu schaden bzw. das „Wasser abzugraben“. Ganz im Gegenteil. Erst wie wir später erkennen werden, nach dem wir Erfurt besucht haben, hat Weimar einen ganz eigenständigen Charakter. Das mag das Geheimnis sein, weswegen Weimar in unmittelbarer Nähe zur Landeshauptstadt bestehen kann.

In so manch anderen großen Stadt haben wir beobachtet, dass die kleineren Städtchen im Umland schwer zu kämpfen haben. Am offensichtlichsten zeigt sich das dann am Leerstand von Verkaufsflächen im Innenstadtbereich und am Verlust traditioneller Treffpunkte, wie z.B. alt eingesessener Brauereien, Gaststätten, Cafès usw. Auch das vermehrte Auftreten verwahrloster Immobilien mit Grafitty-Schmuck ist so ein Hinweis. In Weimar haben wir nichts der Gleichen entdecken können. Tradition und Anpassung an die Bedingungen und Notwendigkeiten der heutigen Zeit halten sich die Waage. Stattdessen finden sich Hinweisschilder und Informationen zur Stadt, seinen berühmten Einwohnern und zu seiner Geschichte dezent an den Straßen und Plätzen. Da wird auch schon einmal ein renovierter Giebel für einen klugen Spruch genutzt.

So mag es zu normalen Nicht-Corona-Zeiten vielleicht etwas touristischer in Weimar zu gehen, nach unserer Einschätzung bewegt sich das aber noch in einem angenehmen oder zumindest akzeptablen Rahmen. Hier noch ein paar Impressionen von Weimar, wie wir es gesehen haben:

Für Kultur- und Architekturinteressierte ist Weimar auf jeden Fall eine Reise wert. So lohnen sich Besuche im:

  • Bauhausmuseum,
  • Goethes Wohnhaus und seinem Gartenhaus am ‚Park an der Ilm‘,
  • Schillers Wohnhaus,
  • Rokkokosaal der Herzogin Anna Amalia Bibliothek,
  • Haus der Weimarer Republik,
  • der Fürstengruft in der die Särge von Goethe und Schiller stehen,
  • das Stadtschloss – das darin residierende Stadtschlossmuseum ist aber noch bis voraussichtlich 2023 wegen der Generalsanierung vollständig geschlossen und
  • viele weitere Museen und Gedenkstätten bis hin zur Gedenkstätte Buchenwald, das einen düsteren Fleck in unserer jüngeren Geschichte beleuchtet.
  • etliche Kirchen, wie in fast jeder geschichtsträchtigen Stadt
  • und etwas außerhalb der Stadt Schloss und Schlosspark Belvedere, Schloss und Park Tiefurt und Schloss (heute: Tagungshotel) und Schlosspark Ettersburg,

Es lohnt sich durchaus aus dem Stadtkern etwas hinauszugehen. Auch hier finden sich interessante Motive und Architektur. Wer mit dem Rad unterwegs ist, der kann auf dem Ilmtal-Radweg die in der Nähe liegenden Orte Bad Berka (ca. 10 km einfach) und über Apolda Bad Sulza – Thüringens Weinstadt – (ca. 30 km einfach) erradeln.

Wir haben uns vorgenommen wiederzukommen, um das Umland von Weimar und Erfurt zu erkunden. So wollen wir den Ilmtal-Radweg von Allzunah bis zur Saalemündung nördlich von Bad Sulza bei Großheringen abradeln und dabei Weimar einen weiteren und ausgiebigen Besuch abstatten. Immerhin wurde der Ilmtalradweg als erste Radroute in Thüringen vom Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Club als ADFC-Qualitätsradroute mit vier Sternen ausgezeichnet. Angeblich soll dieser der beliebteste Radweg in Thüringen sein. Daher werden wir unser Wiederkommen so planen, dass wir nicht am Wochenende die Region besuchen, denn dann ist aufgrund der Auszeichnung mit viel Verkehr auf dem Radweg zu rechen.

Zum Schluss begegnete uns noch dieser etwas aus dem Rahmen gefallene Herr mit seinem „SolardachFahrrad“.

Auch solche Kuriositäten begegnen einem in Weimar. 😉

Senftenberg: Eine Urlaubsregion entsteht.

Auf dem Weg vom Spreewald nach Dresden, von wo aus wir ins Elbsandsteingebirge fahren wollen, machen wir einen Zwischenstopp in Senftenberg. Senftenberg liegt im Lausitzer Seenland. Dieses Seenland ist, bzw. wird das größte künstlich geschaffene Seengebiet Europas. Was uns hier erwartet? Keine Ahnung!

Als ahnungsloser Wessi hat man vom Braunkohletagebau gehört. Und dass dieser aus Umweltschutzgründen so schnell wie möglich stillgelegt werden soll, das weiß man auch. Wenn man nicht aus einer Tagebergbauregion kommt, hat man nur eine sehr diffuse Vorstellung, was das für eine Region und ihre Menschen bedeutet. Einen ersten Vorgeschmack auf das, was nach dem Bergbau kommt, haben wir schon in Lübbenau bei einer Radtour in Augenschein nehmen können. Wie eine Renaturierung irgendwann mal aussehen könnte, kann ich mir in Lübbenau aber noch nicht wirklich vorstellen.

Bei einer Radtour rund um den Senftenberger See, können wir uns ein Bild von einer solchen Entwicklung machen. Hier ist man schon einen großen Schritt weiter.

Der geflutete Tagebergbau mit größeren Wasserflächen bietet sich als Freizeitzentrum für Wassersportler an. Denkt man eine Nummer größer, dann lässt sich ein ganz neuer Wirtschaftszweig im Bereich des Tourismus entwickeln. Genau das scheint man hier vor zu haben.

Am Stadtrand ist eine Art Steilufer entstanden, die in Teilen schon fast wie natürlich gewachsen aussieht. Auch der neue Stadthafen ist für Bootssportler attraktiv. Wassersport und Badeangebote haben sich rund um die Liege- und Freizeitwiesen etabliert. Auch zwei Wohnmobilstellplätze sind hier zu finden, die voll belegt sind. Wir sind überrascht wie viel touristisches Treiben hier stattfindet. Immerhin ist keine Schulferienzeit.

Einmal um den Senftenberger See

Wir übernachten auf einem Wohnmobilstellplatz etwas außerhalb. Von dort aus umrunden wir den Senftenberger See mit den Fahrrädern. Hier ist schon ein sehr gutes Radwegenetz entstanden. Das können wir an der guten Ausschilderung erkennen. Abzweigungen sind immer klar erkennbar. Wenn es überall so ist, dann reichen Übersichtskarten vollkommen aus, um sich sicher zu orientieren.

Zunächst führt uns unser Weg in die Stadt. Da wir wieder Proviant auffüllen müssen, freuen wir uns, dass Markttag ist.
Wie schon so häufig im Osten finden wir hier eine Marktstruktur vor, die wir bei uns nicht mehr kennen. In Süddeutschland findet sich eher der „Bauernmarkt“, angereichert mit Ständen weiterer Lebensmittel – von Brot über Honig bis zu Fleisch und Wurstwaren. Bekleidung, Schuhe oder Haushaltswaren sucht man bei uns meist vergeblich. Nicht so hier im Osten. Das erinnert uns sehr an die Wochenmärkte in Italien, wo man wirklich alles bekommen kann, bis auf lizensierte Produkte, wie Tabakwaren oder pharmazeutische Produkte.

Die Markttage bringen Leben in die Stadt. Für uns sind diese immer besonders interessant, denn wir können den Menschen, ohne neugierig zu wirken „aufs Maul“ schauen und den ungezwungenen, typischen Umgang miteinander beobachten. Und bevor wir uns umschauen, sind wir in ein Gespräch mit den Einheimischen verwickelt. WoMoline ist dafür Spezialistin. Sie hat auf diese Weise schon so manchen Insidertipp bekommen. 😊😘💖

Senftenberg hat sich schon zu einem Erholungsort entwickelt. Vieles ist instandgesetzt, aufgehübscht, und neu entstanden – wie zum Beispiel der Stadthafen. Um Senftenberg herum entsteht mit dem Lausitzer Seenland zwischen Berlin und Dresden eine neue Wasserlandschaft. Seit einigen Jahren erhält die ehemalige Tagebaulandschaft ein neues Gesicht mit tiefblauen Farbtupfern. Es entsteht die größte zusammenhängende Seenlandschaft Europas mit insgesamt 23 größeren Seen.

Wir verlassen Senftenberg. Die verschiedenen Seen, die hier entstehen werden mit Kanälen verbunden, sodass ein Wasserstraßennetz entsteht. Wo erforderlich, gibt’s dann auch schon mal einen Bootstunnel.

Etwas weiter ist ein Ferienresort mit Clubcharakter entstanden, das sich wohl stark an der Zielgruppe Familie mit Kindern ausrichtet. Das riesige Areal, im Wald gelegen, bietet sowohl Camping, Mobilheime bzw. Ferienhäuser als auch ein Hotel an. Am Seeufer erinnert der Sandstrand an Klassiker wie Bibione oder Rimini. Es ist alles vorhanden was für einen Familienurlaub nötig ist. Wie für Cluburlaub typisch gilt: Einmal angekommen, braucht man das umzäunte Gebiet nicht mehr zu verlassen.

Es ist ein Touristik Konzept, dessen Vorbild aus Spanien, Italien, Türkei und Anderswo stammt. Nur die Anreise ist kürzer und der südländische Flair fehlt. Und der kilometerlange Strandspaziergang wird durch einen Zaun und ein Verbotsschild nach wenigen 100 Metern unterbunden.

Die Wege führen zum Teil sehr weit entfernt vom Ufer durch den Wald. Geschätzt, weit mehr als die Hälfte des Seeufers darf nicht betreten werden. Zum einen wurden Schutzzonen für Biotope ausgewiesen und zum anderen sind weite Bereiche der Uferzonen wegen instabilen Geländeformationen im Uferbereich abgesperrt. Wirklich attraktiv und abwechslungsreich ist, so weit entfernt vom Wasser, die Fahrt durch den Wald nicht.

Aber dann treffen wir auf ein kleines Areal, das ein Meer oder See-Feeling aufkommen lässt. Die Infrastruktur ist hier ein Toilettenhäuschen mit angeschlossener Imbissbude und so weit wir das beurteilen können drum herum wilde Parkerei an Straßenrand. Das hat schon etwas Nostalgisches und erinnert mich an meine Kindheit. Mit dem Käfer über den Großglockner nach Kärnten an einen See. Imbissbude war schon Luxus. Mehr brauchten wir nicht.

Es wird noch eine lange Zeit brauchen, bis aus diesem Gebiet eine wirkliche Ferienregion wird. Man kann alles Mögliche hinbauen, was für eine solche Ferienregion notwendig ist. Die Menschen aber in dieser Region sind geprägt vom Bergbau und der Energieerzeugung. Es wird sicher ein, zwei Generationen dauern bis die Produktionsmentalität sich in eine Dienstleistungs- bzw. Tourismusmentalität verändert hat. Der Unterschied zu einem traditionellen Tourismusgebiet, wie dem Spreewald, ist auf Schritt und Tritt spürbar. Solche Veränderungen gehen eben nicht von heute auf morgen.

Vielleicht ist es ja auch langfristig von Vorteil, sich nicht an Ballermann und Ischgl zu orientieren.

Kurz vor Beendigung unserer Rundfahrt begegnet uns an einem Campingplatz dieses Wohnwagengespann.

Nachdem wir hier, wie zuvor schon im Spreewald, die Erfahrung machen, dass nach dem langen Lockdown die Menschen einfach heiß auf Tapetenwechsel sind, geben wir das Ziel ins Elbsandsteingebirge zu fahren auf. Stattdessen machen wir uns am nächsten Tag auf, in Richtung Weimar und Erfurt.

Unser Kalkül: da, wo die Menschen, die jetzt in den Urlaubsgebieten sind, herkommen (die aus den Städten), dort müsste es doch angenehm ruhig sein. 😊

Der Spreewald: eine von Menschenhand geschaffene Kulturlandschaft

Das den inneren Spreewald umgebende Grasland wird heute von großen Traktoren mit gigantischen Mähbalken bearbeitet. In früherer Zeit dürfte das durch Ochsen, Pferde und durch Muskelkraft bewerkstelligt worden sein, oder aber durch direkte Beweidung wie es auch heute noch gemacht wird. Die Rinderherden, die wir beobachten konnten, die durch das Grasland streifen, verleihen der Landschaft einen Hauch von Wild-West-Romantik. Einen Cowboy oder Gaucho haben wir aber nicht gesehen.😉 An einer Stelle werden wir durch Schautafeln darauf hingewiesen, dass dieses Gebiet schon seit mindestens 3000 Jahren von Menschen bewirtschaftet wird. Das belegen archäologische Befunde. Somit ist der Spreewald ein sehr altes von Menschen gestaltetes Kulturland.

An verschiedenen Stellen, fällt uns auf, dass man die Natur sich selbst überlässt. Ein Einheimischer, mit dem wir ins Gespräch kommen, vertritt zu dieser „grünen Haltung“, eine sehr kritische Position. Er argumentiert, dass die Spreelandschaft nur deshalb heute so ist, wie sie ist, weil der Mensch sie über viele Jahrhunderte gestaltet hat. Dass Sich-Selbst-Überlassen hat zur Folge dass sich diese alte Kulturlandschaft zusehends verändert, weil durch die fehlende Kulturpflege sich der Waldbestand nicht mehr verjüngen kann. Er lastet diese Veränderung der dogmatischen Haltung von grünen Politikern an und empfindet deren kompromisslose Haltung als eine Art Heimatverlust. Das ist eine Sichtweise, die sich einem Touristen, der mal für zwei, drei Tage einfliegt bei aller Aufmerksamkeit nicht sofort erschließt. Er empfindet, das was er sieht als schön, Natur pur, als schon immer so gewesen. Es strahlt Idylle und Friedlichkeit aus. Die schleichenden Veränderungen kann der Kurzzeittourist nicht erkennen.

Mir wird wieder einmal deutlich, wie schwierig es in unserer komplexen Welt geworden ist, einen fairen Interessenausgleich zwischen unterschiedlichen Standpunkten und Interessen zu erarbeiten. Und so stellen sich mir beklemmende Fragen, wie z.B.:

Wem gehört eigentlich eine alte Kulturlandschaft?

Wer darf für diese Kulturlandschaft sprechen (und wer nicht)?

Gibt es so etwas wie Heimatrecht? Oder sogar ein Recht auf Heimat? Ist das vielleicht sogar ein Grundrecht?

Gibt es so etwas wie ein Selbstbestimmungsrecht der in einer „Heimat“ lebenden Menschen und der durch sie getragenen Organisationen?

Wo liegt die Grenze zwischen „Mit der Natur leben“ und „Natur ausbeuten“?

Diese Fragen machen uns sehr nachdenklich, zumal uns ähnliche Fragen in touristischen Hotspots wie z.B. in Pisa, Kloster Melk, Dürnstein an der Donau, in der Tourimeile am Tittisee oder in Venedig in ähnlicher Weise begegnet sind. In den genannten Beispielen war Auslöser der überdimensionale und nicht mehr verkraftbare Ansturm der Touristen, der Heimat zerstört.

Hier lernen wir, dass auch politische Dogmen, Heimat zerstören können!

Paul, der hilfsbereite Spreewald-Gondoliere

Die Radwege im Spreewald sind überwiegend gut und fest verdichtete Schotterwege. Auf den Hauptrouten und innerhalb von Siedelungen sind sie meist asphaltiert. Gerade diese Schotterwege, mit darin enthaltenen spitzen Steinen, können tückisch sein. Wer mit den heute üblichen modernen Reifen unterwegs ist, sollte bei optimalem Reifendruck eher selten ein Problem bekommen. Ganz auszuschließen ist das aber nicht. Als wir auf unserer Rundtour von Lübbenau nach Lübben und in einem großen Bogen über Alt Zauche wieder zurück nach Lübbenau fahren, ist uns genau dieses passiert. Ungefähr 10 km vor Lübbenau fängt das Hinterrad von Womolix’s Fahrrad an zu holpern.

Ein Blick zum Hinterrad reicht – Plattfuß.

An diesem Teil der Strecke sind kaum Menschen unterwegs. Flickzeug und das kleine Notbehelfswerkzeug haben wir dabei. Doch ohne Luftpumpe, wird uns das nichts nützen. Mit Erschrecken stellen wir fest, dass ich beim Fahrfertigmachen der Fahrräder die Luftpumpen in der Wohnmobilgarage vergessen habe. Da kann sich der WoMolix aber was von ärgern. WoMoline verzichtet dankenswerterweise auf Vorwürfe.

Ein Blick auf die Radl App zeigt, wir haben noch ca. 10 km bis zum Wohnmobil vor uns. Es ist schon später Nachmittag und 10 km Fahrrad schieben macht keinen Spaß. Wir haben Glück, so glauben wir als uns zwei Damen auf ihren Fahrrädern einholen. Wir fragen, ob sie eine Luftpumpe dabei haben. Aber wie sollte es anders sein, sie haben keine dabei. Stattdessen gibt es einen guten Rat. Wenn wir ungefähr 2 km zurücklaufen und dann nach rechts abbiegen, finden wir eine Anlegestelle für Spreewaldkähne und eine Art Schnellimbiss beziehungsweise Biergarten. Da könnte uns vielleicht geholfen werden. Mit der Aussicht auf Hilfe und Unterstützung folgen wir dankend diesem Rat.

WoMoline ist schon mal vorgefahren und versucht in dem Biergarten Unterstützung zu finden. Als ich ankomme, eröffnet mir WoMoline, dass von den etwa 10 anwesenden Radlergruppen überhaupt nur zwei eine Luftpumpe dabei haben. Von diesen zwei Luftpumpen ist eine für unsere Ventile geeignet. Ich denke mir: „Glück gehabt“.

Sofort mache ich mich daran das Hinterrad auszubauen und den Fahrradmantel von der Felge zu ziehen. Als ich gerade vom Bierausschank eine Schüssel mit Wasser organisiert habe, um das Loch im Schlauch zu identifizieren, ruft das drei Radler auf den Plan, die schon ordentlich „RadlerWasser mit Hopfenaroma“ getankt haben.

Ihre Hilfsbereitschaft ist sicher gut gemeint, aber es entwickelt sich jetzt das, was man mit dem Sprichwort „Viele Köche verderben den Brei“ beschreibt. Es kommt zu einem regelrechten Wettbewerb der heißt: „Wer weiß am besten, wie ein Fahrradschlauch geflickt wird.“

So versucht jeder der Herren dem jeweils gerade Agierenden, entweder Reifenschlauch, Flickzeug oder Werkzeug aus der Hand zu nehmen, um zu zeigen was er kann. Einfach grotesk und fast schon kabarettreif. Aber wer den Schaden hat, sollte nicht auch noch für den Spott sorgen.

Das Ergebnis ist genau so, wie es das Sprichwort beschreibt. Ich baue das Hinterrad wieder ein und als ich das Rad wieder auf seine Reifen stelle, um die Reparatur zu testen, da entweicht die Luft abermals aus dem Hinterrad. Gut gemeint ist eben nicht gut gemacht. 😎🤔

Mich hat’s trotzdem für die Herren eine Runde Bier gekostet.

WoMoline traut dem Reparaturschauspiel wohl auch nicht. Deshalb macht sie sich noch vor Beendigung der Reparaturarbeiten auf dem Weg zu dem nahegelegenen Spreewaldhafen. Dort trifft sie auf Paul, einen Spreewaldgondoliere der gerade seine Fahrt beendet hat. Paul erliegt dem charmanten Bitten von WoMoline und ist bereit, uns mit Rat und Tat zu unterstützen.

Als ich gerade dabei bin, das soeben reparierte Hinterrad wieder auszubauen, erscheint WoMoline mit Paul. Paul schaut sich mit fachmännischem Blick den geflickten Schlauch an und prüft mit nachdenklichen Blick die Reparaturstelle. Er zeigt mit dem Zeigefinger auf unserer Reparaturset und sagt: „Damit wird das hier nichts mehr. Ich nehme das Rad mit und repariere das in meiner Werkstatt.“ Wir erfahren von Paul, dass er nicht nur Spreewaldgondoliere ist, sondern auch ein passionierter Radfahrer. Und ehe wir uns versehen, hat Paul mein Hinterrad im Kofferraum seines Autos verstaut und lässt uns mit dem Hinweis, das könne schon eine dreiviertel Stunde oder eine Stunde dauern, zurück.

Wir können vorerst mal nichts tun. Und so bleibt uns nur, mit den angeheiterten und hilfsbereiten Radlern ein weiteres „Radler“ zu trinken.

Auch nach anderthalb Stunden ist Paul noch nicht zurück. Uns wird es langsam mulmig, denn die Sonne bereitet sich schon auf den Untergang vor und wir haben ja noch 10 km vor uns. Müssen wir womöglich im Spreewald unterm Himmelszelt übernachten?

Die hilfsbereiten Radler haben sich mittlerweile auf ihren Heimweg begeben. Und wir sitzen in dem sich langsam leerenden Biergarten. Da taucht auch Paul wieder auf. Er meint, unser Schlauch sei nicht mehr zu reparieren, aber er hat noch einen alten, schon einmal geflickten Schlauch gleicher Größe mit passendem Ventil in seiner Werkstatt gefunden.

Schnell ist das Hinterrad wieder eingebaut. Natürlich gehen wir zunächst einmal mit Paul ein Feierabendbier trinken.

Ich möchte mich für Pauls Hilfe großzügig erkenntlich zeigen, denn eine Fahrt mit dem Taxi zurück zu unserem Stellplatz hätte uns aufgrund des großen Umweges auch eine Stange Geld gekostet. Doch Paul lehnt dies kategorisch ab. Dass wir das Feierabendbier bezahlen, das ist okay.

Wir lernen einen bescheidenen aber selbstbewussten Spreewaldgondoliere kennen, der ganz fest verwurzelt mit seiner Heimat ist, diese liebt, schätzt und pflegt. Wir vernehmen das Leuchten in seinen Augen, wenn er über seine Arbeit als „Fremdenführer“ spricht. Es ist ihm wichtig, den Gästen seine Heimat nahezubringen und gleichzeitig aber auch diese Heimat zu schützen. Denn, so sagt Paul,: „Unwissenheit zerstört.“ Da erleben wir auf einmal einen sehr tiefgründigen und nachdenklichen Paul, der sich sowohl um die Erhaltung des Naturreservats Spreewald als auch um den Erhalt der Lebensweise der Menschen und ihrer sozialen Verbundenheit Sorgen macht.

So ganz nebenbei erfahren wir, dass Paul, immer wenn er in Lübbenau ist, im Restaurant & Eiscafé Hanschick, gegenüber vom Busparkplatz einkehrt und dort gut bekannt ist. Wir waren auch schon da und die Sülze mit Bratkartoffeln ist uns in guter Erinnerung geblieben. Ich bin sicher, das liegt an den Spreewälder Gurken 😉 und an den Fähigkeiten des Kochs, denn die Gurkenremoulade war hervorragend. Wir haben erfahren, dass Paul ganz gern einmal einen guten Wein trinkt. So beschließen wir am nächsten Tag dort noch einmal einzukehren und für Paul die beste Flasche Wein, die wir an Bord haben als Dankeschön bei der Wirtin zu hinterlegen.

Lieber Paul, falls du das lesen solltest, nochmals unseren Herzlichsten Dank.

Mit dem Rad den Spreewald entdecken

Unsere Radtouren im Spreewald

Das obere Spreewaldgebiet (Lübbenau, Lübben und Burg) haben wir intensiv abgeradelt und unsere Touren haben wir dieses Mal mit GPS aufgezeichnet. Das E-bike oder Pedelec ist schon zu schnell. Wir, mit unseren Touren-Drahteseln, stellen fest, dass die weitläufige Landschaft zum „schnellradeln“ verleitet. Auf manchmal endlos langen Geraden hat man einen Fixpunkt am „Horizont“ im Auge und die unmittelbar an einem vorbeifliegende Landschaft, mit allen Einzelheiten, nimmt man nicht mehr war. Es ist eine Form der Achtsamkeit auch das unmittelbar Umgebende wahrzunehmen und die eigene Geschwindigkeit dafür zu reduzieren.

Es passiert uns nicht nur einmal, dass E-biker anhalten, weil wir angehalten haben. Wir haben Tiere oder interessante Fotomotive entdeckt die uns bei der langsamen Genussradlerei aufgefallen sind. Die E-biker bestätigen uns, wenn wir nicht angehalten hätten, dann wären sie achtlos vorbei- und weitergefahren. Hier im Spreewald ist langsamer manchmal mehr – so unsere Erfahrung. Wer also in den Spreewald fährt sollte sich etwas Zeit mitbringen.

Natürlich ist nichts gegen den sportlichen Aspekt einzuwenden, bei dem es um Messbares und Vergleichbares, um Kondition und Wettbewerb unter Gleichgesinnten geht. Wer aber das Naturerlebnis auskosten möchte, der ist langsam besser unterwegs.

Radrundtour 1: Lübbenau – Berg

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Aufgezeichet mit Locus Map

Es war geplant von Lübbenau über Lehde und Leipe durch das Herz des Oberen Spreewalds nach Burg zu fahren. Wegen Bauarbeiten an einer Brücke  kurz vor Leipe, müssen wir jedoch umkehren und über Boblitz und Raddusch nach Burg fahren. Von Burg fahren wir dann über Leipe und Boblitz wieder zurück zu unserem Ausgangspunkt in Lübbenau. Mit 48 km (ohne e-) für die erste Tour nicht schlecht. Die letzten 4 oder 5 km tun uns noch nicht Eingeradelten ganz schön in den Oberschenkeln weh. Wir haben den strammen Gegenwind doch ordentlich unterschätzt, der uns auf dem Rückweg entgegenbläst.

Wie abwechslungsreich diese Tour ist, lässt die nachfolgende Galerie nur erahnen. Wir treffen auf eine alte Bäckerei, wo es für uns Cappuccino und ein süßes Teilchen gibt. Uns begegnen Störche, denen wir bei der Brutpflege etwas zuschauen, große Rinderherden, die über das Grasland ziehen (es hat fast das Flair der Serengeti) und ganz unverhofft stehen uns am helllichten Tage zwei Rehe gegenüber.

Natürlich treffen wir auch immer wieder auf die Spree oder Spreekanäle. Und das Grasland verändert sich immer wieder von einem auf den anderen Kilometer.

Zu guter Letzt treffen wir noch auf eine eine Gießkännchensammlung, die im Garten eines Hauses aufgebaut ist. Von da an müssen wir gegen den strammen Wind ankämpfen, der uns dann gar heftig entgegenbläst. Die Aussicht, dass wir uns in die Campingstühle lümmeln können, wenn wir das letzte Stück nach Lübbenau überstanden haben, lässt uns noch mal kräftig in die Pedale steigen.

Radrundtour 2: Lübbenau – Lübben – Alt Zauche und zurück.

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Wir fahren von Lübbenau nach Lübben. Lübben trennt das Obere Spreewaldgebiet vom unteren Spreewald. Am Spreewaldhafen fallen uns erstmalig Kähne mit Außenbordmotor auf. In Lübbenau und Burg haben wir das noch nicht gesehen. Dort gibt es die Fortbewegung auf dem Wasser offenbar nur mit Muskelkraft.

Auf der 46 km langen Tour durchfahren wir eine sehr abwechslungsreiche Landschaft in der eine Menge Naturerlebnisse und -beobachtungen möglich sind. Voraussetzung ist langsames radeln und viel Aufmerksamkeit. Je nach Jahreszeit ist auch eine Menge für Hobby-Ornithologen und Tierfotografen dabei. Der Spreewald ist eine beliebte Sammlungs- und Zwischenstoppregion für Zugvögel. Der Spreewald scheint dafür ideal zu sein. Offenes Grasland, Feuchtwiesen, keine oder nur wenige Hochspannungsleitungen, viel Ungestörtheit und Weitläufigkeit und ein Nahrungsangebot dass den Scharen von Zugvögeln zur Verfügung steht. Neben dem zotteligen Griesgram begegnet uns nur noch ein einsamer Storch und eine Menge an „Kleingetier“

Die Geschichte Lübbens reicht bis in das 12. Jahrhundert zurück. Doch viele historische Zeugnisse aus der langen Geschichte fielen im 2. Weltkrieg den Kämpfen zum Opfer. Lübben würde zu ca. 85% zerstört. Es sind nur wenige historische Baudenkmäler erhalten geblieben. So ist eine eher modern anmutende Kreisstadt mit einzelnen historischen Gebäuden im Stadtbild entstanden. Der Marktplatz mit dem Rathaus (mit moderner Architektur) wirkt auf uns noch am ansprechendsten.

Die Landschaft und das Naturerlebnis hat für uns den größeren Reiz als die Stadt und so machen wir uns recht schnell wieder auf den Rückweg.

Unkommentiert möge die folgende Foto-Galerie unsere Eindrücke illustrieren:

Zurück geht es über Alt Zauche einem kleinem Ort am Rande des inneren Spreewalds. Von dort aus war geplant, über Wotschofska und Lehde nach Lübbenau zurückzufahren. Eine Reifenpanne verhinderte jedoch diesen Weg. Bei einer Wanderung haben wir Wotschofska dann doch noch besucht. Dieses Spreewald-Gebäudeensemble Ist heute ein Ausflugslokal und Biergarten, das sowohl von den Kähnen, als auch von den Kajak- und Kanufahrern gerne angesteuert wird. Den Krimifreunden wird diese Kulisse vielleicht bekannt vorkommen, denn einige Szenen wurden und werden hier für den Spreewaldkrimi gedreht. Ich kann das nicht beurteilen, denn ich bin kein (Fernseh)krimiserienfreund. Um ehrlich zu sein, ich wusste nicht einmal, dass es einen Spreewaldkrimi überhaupt gibt, bis ich das auf einer Hinweistafel gelesen habe.

Radtour 3: von Lübbenau ins ehemalige Bergbaugebiet.

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Wir wollen nun einmal weg aus dem Touristengebiet und sehen, wie es an einem inzwischen stillgelegten Tagebergbau aussieht. So fahren wir in südwestlicher Richtung entlang des Lichtenauer Sees. Das „große Loch“ ist schon geflutet, aber die Renaturierungsarbeiten (oder sollte ich besser „Landschaftsgestalltung“ sagen) sind wohl noch lange nicht abgeschlossen. Die kleinen Orte, durch die wir fahren, erinnern mich an Bilder aus dem ländlichen Polen oder auch an Orte in der Pusta in Ungarn. Auf dieser Tour sind wir fast vollständig allein. Außer zwei Radlerpaaren, die wir sofort als Touristen identifizieren können, begegnen uns keine weiteren Personen. Es wirkt fast wie ausgestorben. Dafür haben wir die Bekanntschaft mit einer Waschbär-Familie gemacht. Waschbären haben wir hier nicht erwartet. So schnell, wie sich die putzigen Tierchen bei unserem Anblick verkrümelt haben, habe ich die Kamera nicht startklar bekommen.

Sehr spannend sind diese 31 km nicht. Wir können uns aber vorstellen, wenn die Renaturierung abgeschlossen ist und sich eine Infrastruktur für Naherholung und Tourismus entwickelt hat, dass dieses Urteil sich verändert. Wer einfach nur eine einsame Strecke zum Radfahren oder Joggen im Grünen sucht, der ist heute schon gut bedient.

Und weil es gerade so schön warm ist genehmigen wir uns am Marktplatz in Lübbenau ein sehr wohlschmeckendes Eis aus einer regionalen Eismanufaktur.

Radrundtour 4: Durch den inneren Oberspreewald

Eine etwas kürzere Tour mit ca. 18 km führt uns durch den Inneren Spreewald und über Boblitz wieder zurück nach Lübbenau. Einfach etwas Genussradeln durch den „Grünen Urwald“ an der Spree. Die Eindrücke links und rechts des Weges wirken auf uns wie eine undurchdringliche „grüne Hölle“. So stelle ich mir es irgendwie im Amazonasgebiet vor. Scheinbar undurchdringlich, feucht und sumpfig, abenteuerlich und geheimnisvoll – nur eben kleiner als am Amazonas. Nur große wilde gefährliche Tiere oder gar Piranhas haben wir nicht gesehen, außer ein paar wilden E-Bikern, vor denen man sich tunlichst auf den schmalen Wegen in Acht nehmen sollte. 😜

Radrundtour 5: Um den Oberspreewald herum.

(bei Komoot: hier klicken)

Mit 50 km  ist diese Tour unsere Längste. Größere Teile sind wir schon gefahren. So findet diese Tour eher unter dem sportlichen Aspekt statt. Sie führt uns von Lübbenau über Alt und Neu Zauche nach Straupitz. Diese beiden Orte haben wir bis dato noch nicht gestreift. Von dort fahren wir über Raddusch und Boblitz, das wir schon kennen gelernt haben, wieder zurück. Auf dieser Tour sind wir fast ausschließlich am Grenzbereich zwischen dem eigentlichen Spreewald und dem, den Wald umgebenden Grasland unterwegs.

Von Gurken und Kähnen: Der Spreewald

Vor fast genau einem Jahr fand diese Reise unter dem Eindruck der ersten Welle der Corona-Pandemie statt. Dass 10 Tage später in diesem Jahr die Artikel genau so aktuell sein würden, haben wir vor einem Jahr nicht gedacht.

Bei dem Begriff Spreewald fällt mir sofort der Begriff Spreewälder Gurken ein, die diese Region überregional bekannt gemacht haben. Aber auch Leinöl, Sauerkraut und einige andere Gemüsesorten gehören zu den lokal typischen und nach wie vor produzierten Naturprodukten.
Sofort taucht vor meinem geistigen Auge das Bild der Kähne auf, mit dem heute die Touristen durch den Spreewald gefahren werden. Es hat einen kleinen Hauch von Venedig in der norddeutschen Tiefebene. Der große Unterschied ist, dass die Spreewälder Gondoliere nicht mit ihrem Ruder paddeln, sondern mit einem Stab stechend und schiebend ihr Brot durch die Spree und die Spreekanäle manövrieren.

Mit etwas Nachdenken, fällt mir auch die Minderheit der Sorben ein. Und in der Tat, alle Ortsnamenschilder sind hier zweisprachig; in Deutsch und Sorbisch.

Und da waren noch irgendetwas mit UNESCO.

Ja, dem Spreewald ist mittlerweile der Status eines UNESCO-Biosphärenreservats zuerkannt worden und genießt dadurch eine ähnliche internationale Aufmerksamkeit und einen Schutzstatus wie UNESCO-Weltkulturerbestätten.

Nach den Lockerungen der Corona Beschränkungen (2020) läuft der Tourismus überraschend schnell wieder an

Wir fahren von Franken über Dresden nach Lübbenau. Dort sind wir zunächst einmal ziemlich überrascht. Obwohl Corona unser Land noch immer fest im Griff hat und erste Lockerungen der Vorsichtsmaßnahmen seit wenigen Tagen touristische Aktivitäten wieder möglich machen, hätten wir einen solchen „Run“ auf Lübbenau nicht erwartet.

Zwar steht auf dem riesigen Busparkplatz am Ortseingang kein einziger Omnibus, aber dafür drängeln sich dort auffallend viele Wohnmobile. Wir fahren u.a. alle offiziellen Wohnmobilstellplätze und einen Campingplatz an. Danach wissen wir warum auf dem Busparkplatz so viele Wohnmobile stehen. Alles voll!

Also genehmigen wir uns für die nächsten zwei Nächte Asyl auf dem Busparkplatz, bevor wir auf einen sehr schönen und gut geführten Wohnmobilstellplatz in der Nähe umziehen.

Der Bustourismus ist noch nicht wieder angelaufen. Dafür brennen viele Besitzer neuer Wohnmobile darauf ihr neues Gefährt endlich ausprobieren zu können. Auffallend viele Wohnmobile sind vom neuesten Produktionsdatum. Auch unser Nachbar aus dem Sauerland ist ein absoluter Neuling mit nagelneuem Wohnmobil.

Ganz klar. Die seit dem Spätherbst 2019 ausgelieferten Wohnmobile, konnten bisher ja noch nicht wirklich zum Einsatz gebracht werden. Die erste Möglichkeit, die sich bietet, nutzen die Besitzer und so ist eben der Busparkplatz nun mit Wohnmobilen voll. In Gesprächen mit Nachbarn bestätigt sich diese Vermutung. Auffallend viele Neulinge und auf neue Mobile umgestiege Wohnmobilisten sind unterwegs.

Lübbenau: Das Zentrum des Tourismus im Oberen Spreewald

Der historische Teil von Lübbenau mit dem Spreehafen und dem Schloss, (das heute als Hotel genutzt wird), könnte man schon als eine Art Museumsdorf bezeichnen. Hier ist alles auf den Tourismus vor allem den Tagestourismus ausgerichtet. Die Stadtgrenze von Berlin ist ja auch nur 60 oder 70 km entfernt. Läden mit Kunstkeramik wechseln sich ab mit Ständen in denen Spreewaldgurken, Honig und Senf angeboten werden und die wiederum wechseln sich ab mit gastronomischen Angeboten von Eis, über Döner bis Mittagessen oder Kaffee und Kuchen. Auch Klamottenboutiken fehlen nicht. Die Preise, vor rund um den Hafen orientieren sich eher in Richtung Theatiner Strasse oder dem Promenadeplatz in München als am örtlichen Einkommensniveau.

Es gibt aber auf der anderen Seite der Bahnlinie das andere Lübbenau; das Lübbenau der Einheimischen. Dieses Lübbenau ist eher gekennzeichnet von sozialistischer Einheitsplatte, teilweise recht ansprechend modernisiert. Ich vermute, diese Wohneinheiten beherbergten zu DDR-Zeiten vor allem die Werktätigen im angrenzenden Tagebergbau außerhalb des Spreewaldgebietes.

Nach Modernisierungen der sozialistischen Einheitsarchitektur ist an vielen Stellen das kohlegrau freundlicheren Farben gewichen. In den, an die Wohnblöcke angrenzenden Garagenhöfen ist aber das alte Farbschema meist noch sichtbar. Da darf noch saniert werden. 😉

Gleiches gilt für das Lübbenau durchschneidende Bahnhofsgebiet. Das sieht noch richtig grausig morbide aus. Manche nennen das auch ‚OstalgieCharme‘ 😉.

Für uns ist das ein interessantes Kontrastprogramm. Hier die filmreife Kulisse, da die reale Lebenswirklichkeit, getrennt von einer Eisenbahnlinie mit Bahnhof.

In diesem scharfen Kontrast, macht uns das nachdenklich, denn wir werden mit einem „Schein“ konfrontiert, der möglicherweise gar nicht authentisch ist. Eine Beobachtung, die wir schon häufiger gemacht haben. Uns wird schnell klar, die Kontakte am Touristen-Hot-Spot werden uns keinen Eindruck von den Menschen hier vermitteln. Die werden sich so verhalten, wie es von den Touristen erwartet wird, und wie es für das Touristikbusiness am vorteilhaftesten ist.

Es werden die Kontakte jenseits der Touristenkulisse sein, die uns ein wirkliches Bild der Lebensweise in der Region vermitteln werden, sei es im abseits gelegenen Hofladen eines sorbischen Dorfes, oder beim Feierabendbier mit einem „Spreewaldgondoliere“, dem Tierschützer, der die Horste der Störche inspiziert oder … .
Wir werden auf unseren Radtouren noch ausreichend Gelegenheit dazu bekommen.

2020 – Ein „ausgefallenes“ Reisejahr

2020 war und wird in unserer Erinnerung im doppeldeutigen Sinne ein „ausgefallenesReisejahr sein und bleiben.

Egal von wo man mit dem Lesen beginnt – es ergibt immer einen Sinn

Zum einen waren so manche Touren einfach nicht möglich, und zum anderen wurden Reiseziele angesteuert, die wir vielleicht nie auf dem Plan gehabt hätten. Unschwer zu erraten: auch das Reisen hatte Corona in 2020 fest im Griff. 

Es fängt schon damit an, dass wir zum ersten Mal das Wohnmobil im Winter abgemeldet haben. Es ist noch Anfang Dezember 2019 als Europa noch glaubt, das Virus ist ganz weit weg und bedroht uns kaum. Der Grund für die Abmeldung ist auch nicht Corona, sondern, weil unsere Planungen und einige familiäre Verpflichtungen uns aufzeigen, dass es durchaus Mai oder Juni werden kann bis wir wieder Zeit haben, mit dem Wohnmobil wegzufahren.

Das hat uns zwar ein paar Euro Steuer und Versicherung gespart, doch als wir hätten wieder fahren können, bekommen wir keinen Termin zur Wiederzulassung unseres Wohnmobils. Alle Termine sind von Autohäusern und Zulassungsdienstleistern blockiert. Die aufgestauten Zulassungsaktivitäten aus der Lockdownzeit müssen erst einmal abgearbeitet werden. „Nicht so schlimm“ sagen wir uns, denn das Wetter spiel zunächst ohnehin nicht mit. 

Gewöhnen an Pandemiebedingungen

Dann ist es endlich soweit. Nummernschilder wieder gestempelt, die üblichen Wartungs- und Reinigungsarbeiten durchgeführt und das Wohnmobil eingeräumt. Es kann losgehen. Doch bei dem Blick auf unsere Wetter-App gibt’s nur lange Gesichter. Alle Zielregionen (und das sind eh nicht viele), die wir uns ausgedacht haben, locken nicht mit positiven Wetterprognosen. So wird die Wetter-App zum Reiseleiter. Der Reiseleiter sagt uns: „ab in den Osten“. Und in der Tat, er soll Recht behalten. Durch die Medien sind wir vorgewarnt, das die Gastronomen an der Ostsee einen Ansturm erwarten. Also entscheiden wir uns für ein, aus unserer Sicht, nicht so stark favorisiertes Ziel. Die Wahl fällt auf dem Spreewald, denn WoMoline will gerne in diese Ecke fahren. 

Dort angekommen, müssen wir feststellen, alle Wohnmobilstellplätze belegt. Auch auf den Campingplätzen in Lübbenau und Umgebung und in Burg ist nichts mehr zu machen. Leicht frustriert, aber immer noch frohen Mutes, fahren wir wenigstens einmal durch Lübbenau, um einen Eindruck von dem Ort zu bekommen. Ganz am Ende, da, wo es wieder zur Autobahn geht, sehen wir einen großen Platz auf dem viele Wohnmobile stehen. Keine der Apps die wir befragt haben, haben diesen Platz im Angebot. Kurzentschlossen gesellen wir uns zu den anderen Wohnmobilen. Es stelle sich heraus, dass das gar kein Wohnmobilstellplatz ist, sondern der Tagesparkplatz für Omnibusse. Doch jetzt, kurz nachdem Lockdown, haben die Reisebusunternehmer ihre Touren noch nicht verkauft. So sucht man vergebens nach einem Omnibus. Die Gemeinde freut sich, dass die Wohnmobilbesitzer nun die 12 € Tagespauschale bezahlen und man lässt die Wohnmobile, respektive ihre Besitzer gewähren. Der Stadtkämmerer freut sich.

Ungläubig schaue ich in die Runde. Sehr viele Wohnmobile sind vom neuesten Produktionsdatum. Nachdem wir mit einigen gesprochen haben wird uns deutlich, viele WoMos sind Wohnmobile, die seit dem letzten Herbst ausgeliefert wurden. 

Die Besitzer sind, seitdem es nun möglich ist, unterwegs auf ihrer allerersten Ausfahrt. Also ein Platz mit vielen Neulingen. Wir treffen auch zwei alte Hasen. Sie berichten, dass sie Rügen angesteuert haben, doch nach fünf Stunden Stau haben sie entnervt umgedreht. Wenigstens mit der Idee Ostsee haben wir alles richtig gemacht.

Uns wird klar, dass alle Wohnmobile, die normalerweise zu dieser Jahreszeit in Italien, Kroatien, Frankreich oder sonst wo sind, nicht zu Hause stehen, sondern sie sind in Deutschland unterwegs. Dadurch wird es auf den Wohnmobilstellplätzen und Campingplätzen eng. Die Stimmung unter den Reisenden ist aber durchweg positiv. Alle sind froh, dass sie nun endlich on tour sein können. Im Osten sind die Corona-Regeln zu dieser Zeit ohnehin etwas moderater. Die wirklich kritischen Gebiete liegen im Süden und Westen der Republik.

Nur eines ist anders: es gibt ein ganz neues Gesprächsthema und das beherrscht alles. 

Und das heißt: Corona. 

Egal wo und mit wem, es dauert nicht lange bis dieses Thema gestreift wird. Bei manchen ist es vielleicht nur eine sarkastische Bemerkung, bei vielen anderen ist es aber ein Bedürfnis, sich mit den Anderen darüber ausgiebig auszutauschen. 

Dem Thema entkommt keiner. Das wird sich auch im Laufe des restlichen Reisejahres nicht mehr ändern und ich fürchte es wird im Jahr 2021 auch nicht anders sein.

Azyklisch Reisen ist gar nicht so einfach

Nach ausgiebigen Radtouren im Spreewaldgebiet beschließen wir, uns Richtung Elbsandsteingebirge zu orientieren. 

Unsere Erfahrungen aus vergangenen Jahren helfen nicht wirklich weiter, denn alle verhalten sich nun anders als gewohnt. Dies erkennen wir bei einem Zwischenstopp in Senftenberg. Senftenberg liegt im ehemaligen Tagebergbaugebiet auf dem Weg nach Dresden. Hier wird die ganze Region zu einem Feriengebiet umgestaltet. Vorbild scheinen klassische Touristikzentren z.B. in Oberitalien und an der Adria zu sein. Und genauso geht es dort auch zu.

Wir beschließen, das von uns ins Auge gefasste Elbsandsteingebirge auf später zu verschieben, denn wir vermuten, dass es uns dort ähnlich ergehen wird wie im Spreewald und auch hier in Senftenberg.

Corona: das allgegenwärtige Phantom

Stattdessen wollen wir etwas für unsere Bildung tun und besuchen Weimar, Erfurt und Coburg. Zumindest in Weimar und Erfurt begegnet uns, ähnlich wie im Spreewald, ein etwas lockerer Umgang mit den Einschränkungen der Coronakrise. Die einzigen sichtbaren Merkmale sind Masken im Straßenbild und bei Bedienungen in Restaurants und hie und da Plexiglasschreiben in den Geschäften im Kassenbereich. Unser Eindruck ist: man hält sich einigermaßen an die von oben verordneten Vorgaben, aber wirklich überzeugt davon ist kaum einer. Mehrfach erleben wir folgenden Dialog:

„Haben Sie Corona?“
„Nein“ antworten wir,
„Kennen Sie jemanden, der Corona hat?“
„Nein“
„Sehen Sie, ich auch nicht.“ 

Corona wird fast zu so etwas wie einem Phantom. Man hört es nicht, man sieht es nicht. Auch beim Riechen und Schmecken – Fehlanzeige. Und doch ist Corona allgegenwärtig. Immer und überall.

In Coburg, wir sind schon in Bayern, wo die Infiziertenzahlen zu diesem Zeitpunkt deutlich höher sind. Dort werden die verordneten Maßnahmen deutlich ernster genommen. So zumindest unser Eindruck. Vielleicht liegt es an der Tatsache, dass die Medienberichterstattung in Bayern doch deutlich dramatischer gewesen ist als im Osten und sich das auf die Stimmung und Haltung der Bevölkerung auswirkt. Vielleicht hat die bayrische Staatsregierung auch deutlichere und schärfere Regeln vorgegeben, oder deren Einhaltung stärker überwacht. Ich weiß es nicht. Wir sehen auf jeden Fall deutlich häufiger ausgeschilderte Laufzonen mit Abstandsmarkierungen, Einbahnwegeregelungen nicht nur beim Freibad, strikte Befolgung von Besucherhöchstgrenzen usw.. Und wenn sich beim Anstehen für ein Eis to go doch Mal eine Nachlässigkeit einschleicht, dann wird der Regelbrecher mal höflich, öfter sehr bestimmt und manchmal auch richtig barsch auf seinen Regelverstoß hingewiesen.

Die scheinbar große Entspannung

Fünf Wochen später in der Ortenau. Temperaturen weit über 30 Grad, sinkende Coronafallzahlen, immer weniger Masken im öffentlichen Straßenbild. Wenn ich zum Einkaufen gehe, dann passiert es immer häufiger, dass ich aus dem Auto ohne Maske aussteige und dann noch mal umkehren darf. Toller Wein, wunderschöne Wanderungen an den Hängen des Schwarzwaldes und des Kinzigtals, Gaumenfreuden in der Restauration toller Hotels und bei Sterneköchen. Leben wie Gott in Deutschland, manchmal ganz kurz unterbrochen durch Maskenpflicht – z.B. beim Gang zu einem gewissen Örtchen. 

Das Ganze fühlt sich an wie das letzte Aufbäumen der Pandemie. Die hohen Temperaturen heizen dem Virus kräftig ein und erste Meldungen der Presse über Erfolge bei der Impfstoffentwicklung nähren die Hoffnung, dass es zum Ende des Jahres einen zugelassenen Impfstoff gibt. Keiner kann sich des Eindrucks erwehren, dass das die ultimative Allzweckwaffe im Kampf gegen die Pandemie ist und dem Virus den Rest gibt. Heute wissen wir, es wird anders kommen.

Warten auf normales Reisen

Wir hangeln uns am Rhein entlang immer weiter südlich Richtung Basel. Diesmal lassen wir den Kaiserstuhl rechts liegen, denn unser Weinlager im Wohnmobil ist übervoll. Irgendwann biegen wir nach links in den Hochschwarzwald ab. Wir fahren durch den Hochschwarzwald bis nach Bad Säckingen durch eine wunderschöne Landschaft. Menschen sehen wir nur Menschen, dort wo Gasthäuser links und rechts der Straße sind. Ansonsten sind wir, wenn wir stehen bleiben und beim Wandern weitestgehend allein. 

Erst auf unserer weiteren Strecke von Bad Säckingen den Rhein entlang bis kurz vor Schaffhausen holt uns das Thema Corona wieder ein.

Das bange Warten, ob Überwinterung im Süden möglich ist

Auf den Wohnmobilstellplätzen entlang des Rheins sehen wir auffallend viele Wohnmobile mit Schweizer Kennzeichen. Deutsche Kennzeichen sind schon fast Exoten. Wie sich herausstellt, sind das überwiegend Schweizer, die darauf warten, dass sie in Richtung Südspanien, Portugal oder sogar Marokko aufbrechen können. Sie warten auf sichere Indizien, dass, wenn sie einmal im Süden sind, nicht wieder wie im Frühjahr, mit Polizeigewalt und mit sehr engen Zeitvorgaben zur Heimfahrt gezwungen werden. Sie versammeln sich auf der deutschen Seite des Rheins, weil für Sie das Leben in Deutschland und die Wohnmobilstellplätze wesentlich günstiger sind als in der Schweiz. Tja von den reichen Schweizern kann man das Sparen lernen. 😉

Auf der ganzen Strecke von Bad Säckingen, Waldshut-Tiengen bis kurz vor Schaffhausen geht das Leben seinen gewohnt gemächlichen Gang. Dennoch bemerken wir zunehmend eine gewisse Skepsis der Menschen. Es kommt uns vor wie: „Es geht uns gut, alles funktioniert, aber wir trauen dem Frieden nicht so ganz.“

Wir wollten eigentlich noch bis Konstanz oder vielleicht sogar bis Meersburg weiterfahren, aber der Wetterbericht verheißt auf längere Sicht nichts Gutes. So entschließen wir uns, uns über die Autobahn in Richtung Norden abzusetzen. Bei einem kurzen Boxenstopp in Rottweil überholt uns dann das angekündigte Schlechtwetter und wir werden klitschnass. Trotz Regen, das Städtchen ist sehenswert.

Die Stimmung kippt

Mitte September waren wir u.a. im Blühenden Barock in Ludwigsburg. Die Stimmung ist noch wie vor kurzem am Rhein. 2 1/2 Wochen später, wir schreiben jetzt Anfang Oktober, starten wir zu unserer letzten größeren Fahrt im Jahr 2020. Startpunkt ist dieses mal Idar-Oberstein. Diesen Ort wählen wir, weil in Frankfurt mittlerweile die Kontaktregeln im öffentlichen Bereich  deutlich verschärft sind. Nach dem Prinzip Vorsicht haben wir ein Wiedersehen mit einer Freundin, die mittlerweile in Frankfurt lebt, nach Idar-Oberstein verlegt. 

Über Königstein, Kelkheim und Idstein durchqueren wir dann den Taunus, bis wir bei Weilburg auf das Lahntal treffen. Von hier aus folgen wir der Lahn flussaufwärts. Über Wetzlar, Gießen und Marburg geht es weiter bis fast zu Ursprung der Lahn. 

Von Weilburg bis zum Lahn-Ursprung in der Nähe von Neften, wollten wir eigentlich überwiegend mit dem Fahrrad auf dem Lahntalradweg unterwegs sein. Das sehr durchwachsene Wetter lässt aber aus der geplanten Wohnmobil-Radtour ein Städte- und Wohnmobilstellplatz-Hopping werden. Über Siegen und Olpe geht’s ins Ruhrgebiet zum Familienbesuch. Der Heimweg führt uns dann über Kassel und Fulda zurück nach Franken.

Hätten wir die von uns wahrgenommene Stimmung in einer Fieberkurve aufgezeichnet, so wäre eine sich stetig beschleunigende Absturzkurve entstanden mit hartem Aufschlag am Ende unserer Reise.

Ab Wetzlar gibt es unter den Wohnmobilisten praktisch keine Kommunikation mehr. Jeder grüßt von Ferne und verkriecht sich so schnell wie möglich im Wohnmobil – und daran ist nicht nur das wechselhafte Wetter schuld. Das kleine Schwätzchen beim Ziehen des Parktickets, der Erfahrungsaustausch nach dem Stadtbummel, der Radtour, der Wanderung, der Smalltalk an der Entsorgungsstation, wird immer seltener und kürzer, je weiter wir gen Norden kommen. In gleichem Maße wird die Berichterstattung im Radio immer dramatisierender und hysterischer. 

Wir stellen auf Musikkonserven ohne Nachrichten um, um der Depressionswelle entgegenzuwirken, die so viele heimsucht. Den meisten der uns umgebenden Wohnmobilisten, als auch den Menschen, denen wir in den Städten und Ortschaften begegnen, ist diese Stimmung quasi unsichtbar auf die Stirn geschrieben. Die Stimmung schwankt zwischen Resignation und zunehmender Aggression.

Auch wenn wir alles tun, um uns diesem Stimmungsabsturz so gut es geht zu entziehen, ganz gelingt es auch uns nicht.

Als wir dann zu Hause ankommen, das Wohnmobil winterfertig machen und Ende November dann ins Winterlager fahren, da kommt uns ein Satz über die Lippen, den wir so in den vergangenen Jahren noch nie verspürt oder gar ausgesprochen haben: „So, nun is gut“

Wir brauchen Urlaub vom Reisen. Das hätten wir uns nie träumen lassen. Doch Corona macht’s möglich.

Gibt es ein Fazit?

Kurz und knapp. Nein, ein Fazit gibt es nicht.

Wollte ich eines ziehen, dann müsste ich eine Menge von Fakten und Ereignissen adressieren, die zwangsläufig viele öffentlich auftretenden Personen blamieren würden.

Das wird aber der Sache nicht gerecht. Ich habe große Achtung vor der Verantwortung, die viele dieser Personen tragen und versuchen, dieser Verantwortung gerecht zu werden. Auch wenn immer wieder einzelne Personen versuchten, persönliche Interessen mit ihrem Auftrag zu verbinden, oder gar ihren Auftrag und ihre persönlichen Interessen verwechseln, so muss man allen zugestehen, dass der Panikmodus der nahezu alle Lebensbereiche infiltriert hat, auch diesen Verantwortungsträgern die Sicht und Urteilsfähigkeit vernebelt. Auch sie sind nur Menschen.

Tauschen möchte ich da mit keinem.

Eine Prognose wage ich aber doch:

Wer so wie wir, mit dem Wohnmobil reist, ist darauf angewiesen, dass die Menschen in den Zielregionen und die anderen Reisenden mit Fröhlichkeit, Zuversicht und Offenheit einem gegenübertreten, genauso wie wir dies gegenüber unseren Gastgebern und Mitreisenden tun und tun wollen. Nur so wird aus einer Reise ein unvergessliches Erlebnis. Leider wurde durch diese Coronapandemie viel von dieser Basis zerstört und es wird eine längere Zeit brauchen bis diese Kollateralschäden beseitigt sind. 

Aus dem Gesagten leitet sich vielleicht doch noch ein Fazit ab:

Es wird noch viel mentale Arbeit bei Reisenden und bei Gastgebern zu leisten sein, bis das Reisen (z.B. mit dem Wohnmobil) wieder eine solch freudvolle Angelegenheit sein wird, wie wir das in den letzten acht Jahren erlebt haben. Jeder ist aufgerufen seinen Beitrag zu leisten, indem jeder wieder mit Neugier und Empathie auf die Mitmenschen zugeht und die Angst vor Nähe (Ansteckung) überwindet.

„Schiffchenkino“ in Lenz bei Malchow

Wir fahren weiter nach Malchow. Den Stellplatz, den wir uns ausgesucht haben, ist voll. Also fahren wir ein paar Kilometer weiter nach Lenz, wo wir einen sehr schönen Platz vorfinden. Direkt am Lenzer Hafen und dem Kanal, der den Plauer See mit dem Fleesensee verbindet.

Die 4 km langenlange Strecke nach Malchow führt über eine Holperstrasse, die mit dem Fahrrad nicht wirklich Spaß macht und in der Nacht sogar gefährlich wird. Diese Holperstrecke ist aber kein Hindernis, um uns Malchow nicht anzusehen. Als manchmal Technikbegeisterter muss ich die Drehbrücke in Malchow in Aktion sehen. Den durch die Öffnung der Brücke für die größeren Schiffe erforderlichen Aufenthalt überbrücken wir mit einem großzügig bemessenen Eis. Als die Schiffe durchfahren, werfen die Skipper oder einer ihrer „Untertanen“, einer alten Tradition gehorchend eine Münze auf die Brücke. Das ist das Dankeschön an den Brückenmeister, der die Straße sperrt und die Brücke öffnet und schließt. Früher musste so manches mit „Muskelkraft“ geschehen sein, doch heute hat der Brückenmeister eine komfortable Fernsteuerung und kann seiner Tätigkeit ganz entspannt nachgehen.

Der Ort selbst ist wieder sehr schön in Stand gesetzt worden. Nur das Kopfsteinpflaster bringt mein Hinterteil langsam zur Verzweiflung, obwohl ich meinem Hinterteil einen Gelsattel gegönnt habe.
Wir fahren weiter, hinüber zum Kloster und zur Klosterkirche, in der ein Orgelmuseum eingerichtet wurde. Beides gibt leider nicht viel her und so begnügen wir uns mit ein paar weiteren optischen Eindrücken vom Ort und dem Malchower Hafen. Hier, wie schon in den anderen Orten, findet sich im Hafen kein einziges Fischerboot mehr. Auch dieser Hafen ist ein reiner Yachthafen mit Landungsbrücke für Ausflugsschiffe der Weißen Flotte.

Auf dem Rückweg gönnen wir uns noch ein Fischbrötchen. Die gibt es hier in allen Variationen. Ob frisch oder geräuchert, frischer geht es nicht. Diesen McPom-Sushi darf man sich nicht entgehen lassen.

Den Rest der drei Tage verbringen wir neben zwei kleinen Radtouren am See entlang mit Dolce Vita und „Kanalschauen“. Ständig versuchen Enten und Schwäne die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken und etwas fressbares zu erbetteln. Dazu wackeln sie kokett mit dem Schwanz, putzen sich wie eine Filmdiva vor ihrem Schminktisch, oder führen (und das ist besonders effektiv) ihren Nachwuchs vor. Auch wir werden unseren Bestand an trocken Brot los. 😉

Ständig fahren Boote von links nach rechts und von rechts nach links. Kleine Boote, große Boote, Boote mit posierenden Bikinischönheiten auf dem Vorderschiff und Blondinen auf dem Schoß des Skippers. Ich konnte mir bisher gar nicht vorstellen, wie kurzweilig ein solches Kanalkino sein kann. Und wer unbedingt das Ganze von der Wasserseite aus erleben möchte, kein Problem, überall finden sich Vermieter von führerscheinfreien Booten.
Es ist auch möglich ohne Bootsführerschein eine größere Yacht oder ein Hausboot zu chartern. Lediglich eine etwa 3-stündige Einweisung ist dafür erforderlich. Nun ja, und ganz billig ist dieser Spaß auch nicht. Nähere Auskünfte gibt es bei der Werft oder dem Charterer ihres Vertrauens! Die Fremdenverkehrsämter oder das Internet helfen gerne weiter.

Ab und an sieht man eines von diesen kuriosen Hausbooten, auf denen ein Wohnwagen oder ein Wohnmobil steht. Wer unbedingt im eigenen Bett auf dem Wasser schlafen will;
Geht nicht – Gibt’s nicht!

Wir begnügen uns mit amüsiertem Glotzen in unseren Campingstühlen und einem Cocktail in der Hand.

Und dann noch ein Tipp: Hier in Malchow gibt es im ehemaligen Filmpalast ein Museum zum DDR-Alltag mit viel Kuriosem, das auch die älteren Wessis (die Ossis sowieso) wiedererkennen werden. Ich empfehle selten Museen, aber hier mache ich bei schlechtem Wetter eine Ausnahme ;-).

Perspektivwechsel: Landblick von einer Müritz-Yacht

In Rechlin sind wir mir Bekannten verabredet, die dort ein „riesiges“ Hausboot liegen haben. Es ist wohl eher ein Schiff aus Stahl und Holz, keine Plastikschüssel, mit zwei Dieselmotoren, die einem modernen Sattelschlepper die Schau stehlen können, nicht nur was die Leistung angeht, sondern auch beim Sound der zu den 17t Gewicht passt.

Wir fahren hinaus über den See zur kleinen Müritz und diese hinauf. Wir lernen das Land von einer ganz anderen Seite, der Seeseite, kennen. Eine wunderschöne Seenlandschaft. Schilfzonen wechseln ab mit üppigem Baumbewuchs, der mich manchmal an Bilder von Mangrovengebieten erinnert. Immer wieder tauchen Gruppen von kleinen Bootshäusern auf. Sie sehen aus wie die Pfahlbauten am Amazonas. Wir taufen die kleine Müritz um zum: „Deutschen Amazonas“. Nur Piranias und Krokodile müssen wir hier nicht fürchten.

Müritz – Bootsfahrt

Wir wollen in einer Badebucht ankern, doch der niedrige Wasserstand in diesem Jahr vereitelt dieses Vorhaben. Wir setzen die Landschaftserlebnisfahrt fort.
Ich darf auch mal ans Steuer. Es ist ein gemächliches dahingleiten. Dennoch ist ein hohes Maß an Aufmerksamkeit erforderlich. Sehr viel vorausschauendes Handeln ist nötig, um sicher um die Biegungen und Untiefen, als auch um Segler und Kanuten herumzusteuern. Auch können Schwimmer auftauchen (und die sind in der glitzernden Wasserfläche ganz schwer auszumachen), die in den Fahrweg einfach nicht hinein gehören, aber trotzdem da sein können.

Müritz – Bootsfahrt

Am Abend, nach dem Zubereiten eines guten Essens in der Kombüse, lassen wir den Abend mit Sekt und Rotwein ausklingen. Dabei wird mir der Goldene Störtebeker Bierdeckel für die erfolgreiche Erststeuerung eines Müritz-Riesen verliehen. Ganz stolz liege ich an diesem Abend in unserer Koje.

Waren an der Müritz – McPom-Ballermann oder Möchte-Gerne-Monaco?

Früh haben wir uns aufgemacht nach Waren/Müritz. Es wird das Kontrastprogramm zu Neubrandenburg werden. Nur, wir wissen es noch nicht.
Wir fahren über Land. Das Land ist überwiegend vom Ackerbau gekennzeichnet. Riesige Felder, die jetzt zumeist schon abgeerntet sind. Hier und da sehen wir noch die großen Rundstrohballen auf den Feldern liegen. Die Meisten sind aber wohl schon im Trockenen und sicher vor überraschenden Gewittern. Nur vereinzelt sehen wir ein paar Kühe auf der Weide.

Der erste WoMoStellplatz an einem Blumencenter ist voll. So steuern wir die 2. Alternative in Waren an: ein Parkplatz in der Nähe des Hafens direkt an der Hafenpromenade. Schon die Zufahrt ist ziemlich eng und eher für PKWs gedacht. Mit Übernachtung 23€ für einen Stellplatz der Größe 2,5 m x 6 m, seitliches Aussteigen nur für schlanke Menschen vorgesehen, sowie Essensdüfte und Ballermann-Gegröhle inclusive. Die einzige Lehre, die wir daraus ziehen können ist: Fahr niemals einen Stellplatz in der unmittelbaren Nähe eines Hotspots an.

Der Hafen – ein Möchte-Gerne-Monaco?

Aber: wir wollen es ja so! und das werden wir noch bitter bereuen. Der erste Weg führt uns zum Hafen. Der Hafen wird umsäumt von allerlei Hafengastronomie, gelegentlich unterbrochen von Häusern mit Ferienwohnungen.

In den letzten Jahren wurden im östlichen Teil des Hafens Luxus-Immobilien direkt an der Kaimauer hochgezogen. Ein großer offener Platz trennt Boote von den Immobilien. Der Platz lädt zum Flanieren ein. Wer allerdings den Fischern bei der Arbeit im Hafen zusehen möchte, der wird enttäuscht sein. Kein einziges Fischerboot weit und breit. Stattdessen Rundfahrtschiffe, Hausboote und Yachten. Die ganz tollen Yachten liegen natürlich direkt an der Kaimauer, damit die Gaffer sie bei ihrem Abendessen an Deck und beim Champus schlürfen bewundern können. Es ist das gleiche Geschäftsmodell wie in St. Moriz, Kitzbühel oder Rottach-Egern. Die Reichen und Schönen bezahlen teure Schiffchen und Liegeplätze, um sich der Illusion von Wichtigkeit, Glanz und Glamour hinzugeben und dem einfachen Volk wird (kostenlos) die Möglichkeit gegeben auch mal (als Gaffer) „hautnah“ dabei zu sein, um für einen kurzen Moment die Illusion zu inhalieren, wie es sich anfühlt „auch dazu zu gehören“.
So bekommt scheinbar jeder was er braucht und will und die Cleveren kassieren ab.

Wir haben auf Bilder dieses seltsamen Treibens zum Schutz der Persönlichkeitsrechte verzichtet und belassen es bei einem Bild mit Anglern, die gegen die Veröffentlichung des Bildes nichts einzuwenden haben.

Die Stadt – Kulisse für ein zweifelhaftes Tourismusmodel?

Waren, ging im frühen 13. Jahrhundert aus einer slawischen Siedlung hervor und wurde durch westfälische Siedler ausgebaut. Acht Jahrzehnte war Waren Residenzstadt der Fürsten von Werle. Jahrhundertelang gehörte die Stadt zu Mecklenburg-Schwerin. Die Folgen des Dreißigjährigen Krieges, zahlreiche Stadtbrände und Epidemien warfen die Stadt in ihrer Entwicklung immer wieder zurück. Heute ist Waren mit rund 20.000 Einwohnern der Hauptort an der Müritz und wohl das Zentrum der Urlaubsregion Mecklenburgische Seenplatte.

Die weitgehend gut erhaltene Altstadt mit vielen historischen Bauwerken ist sehr schön restauriert, ebenso wie die am See liegenden Herrschaftshäuser und Villen zu beiden Seiten des Hafens. Sozialistische Einheitsarchitektur konnte sich hier nur in den Außenbezirken etwas durchsetzen. So ist ein zusammenhängendes Gesamtensemble in Waren erhalten geblieben.

Waren die Stadt der größten Schiffspropeller

Von Frank Liebig – Archiv Frank Liebig, CC BY-SA 3.0 de

Bei einer unserer Radausflüge kommen wir am südlichen Ortseingang an einem ausgestellten Schiffspropeller vorbei. Erst später erfahren wir, dass die Firma Mecklenburger Metallguss der Weltmarktführer für große Schiffspropeller ist. 2006 wurde der bis dahin größte jemals gegossene Schiffspropeller mit einem Gewicht von etwas mehr als 130 Tonnen und einem Durchmesser von 9,6 Metern ausgeliefert. Diesen Weltmarktführer hätte ich in einer Stadt am Meer, aber nicht an einem Binnengewässer erwartet.

Waren – ein Kurort?

Davon haben wir zunächst nichts mitbekommen. Das Flair und die Atmosphäre ist eher „Urlaubsort“. Doch seit den 20iger Jahren des 19. Jahrhunderts ist Waren ein Luftkurort. Nach der Wende wurde dieser Titel der Stadt 1999 erneut verliehen.

Inzwischen gibt es ein Kurzentrum auf dem Warener Nesselberg. Die Nutzung der Warener Thermalsole, führte 2012 dann zur Verleihung des Titels „staatlich anerkanntes Heilbad“

Vielleicht liegt das daran, dass das Kurzentrum etwas abgegrenzt vom Stadtzentrum liegt. Viele Kur- und Heilbäder sind oft auf diese Zielgruppe der Kurenden, der Rehabilitationsgäste usw. komplett ausgerichtet was sich dann auch in der Struktur der Geschäfte und Dienstleistungsbetriebe niederschlägt. Dies trifft auf Waren auf jeden Fall nicht zu. Auch die Namenserweiterung „Bad“ hat die Stadt wohl noch nicht beantragt und wäre aus meinem Erleben auch nicht passend.

Ein Stadtbummel

In Waren geht es deutlich touristischer zu, als in den bisher besuchten Orten. Vor allem Shopping wird stark gefördert. Auf dem Marktplatz vor dem Rathaus ist gerade Wochenmarkt .
Zu unserer Überraschung finden sich dort auch Bekleidungshändler. Das hatten wir zuletzt in ländlichen Regionen Italiens gesehen. In Süddeutschland kennen wir so etwas auf Wochenmärkten schon lange nicht mehr. Es ist ein Kontrastprogramm zum Tourismus-Shopping, das vor allem von Marken, Marken und nochmals Marken geprägt ist. Das es diese Händler auf dem Wochenmarkt noch gibt, sagt etwas über das Verhältnis der Einheimischen zum Tourismus-Shopping aus. Würden sie es uneingeschränkt befürworten, dann wären die Bekleidungshändler auf dem Wochenmarkt schon längst verschwunden. Aber das sind sie nicht! Und das ist gut so.
Und: es sagt etwas über das Preisniveau und das zugehörige Einkommensniveau aus – es klafft auseinander. Während im Tourismus-Shopping Großstadtpreise verlangt werden, passt das Einkommensniveau offensichtlich nicht zu diesem Preisniveau. Die auf die zahlungskräftigen Touristen ausgerichteten Shoppingmeilen sind für die Ortsansässigen tendenziell zu teuer. Und so sind die fliegenden Bekleidungshändler auf diese Zielgruppe ausgerichtet mit einem Preisangebot das zur Einkommenssituation passt. So mancher Tourist mag solche Märkte romantisch finden, dahinter steckt aber letztlich ein System der Ausbeutung, das man in allen angesagten Tourismushochburgen beobachten kann. Die Einheimischen können sich das Preisniveau ihrer eigenen Regionalwirtschaft nicht mehr leisten. Das ist nicht nur in Waren an der Müritz so, sondern auch auf dem Wochenmarkt in einem touristisch vermarkteten toskanischen Bergdorf, in Almeria, Sevilia oder an der Côte d’Azur.

Einen wirklich bleibenden Eindruck hinterlässt Waren’s Shoppingmeile in historischer Kulisse bei uns nicht.

Trompe-l’œil-Gemälde

Doch da ist noch was. Wie schon in Neustrelitz, entdecken wir zwei weitere Illusionsmalereien an Gebäudefassaden, die in der Kunst als Trompe-l’œil-Gemälde bezeichnet werden. Nur hier eben nicht auf Bildern sondern auf Fassaden, wobei die real existierende Umgebung der Fassade mit in die Wirkung des Kunstwerks einbezogen wird. Witzige Ideen für sonst vielleicht langweilige oder gar unansehnliche Gebäudefassaden. Sind diese Illusionsmalereien ein Merkmal für McPom?.

Wo Wasser ist, gibt’s Fischrestaurants

Wo Seen sind, da sind auch Fischer. Und wo es fangfrischen Fisch gibt, da gibt’s auch Fischrestaurants. Das ist in Waren auch nicht anders als anderswo. Nach etwas Suchen haben wir in einer Seitengasse der Altstadt ein nettes Fischrestaurants gefunden. Und wir lassen uns zwei Fischfilets servieren. Ich lerne dabei, dass die kleine Maräne im Süddeutschen Raum als Renke, beziehungsweise am größten Binnensee Deutschlands, als Bodenseefellchen bezeichnet wird. Egal welchen Namen man dem Fisch gibt, beide Fischfilets waren vorzüglich. Der Pfälzer Spätburgunder (natürlich trocken), den ich mir dazu ausgesucht hatte, war gut und passend. Ein Spätburgunder Weißherbst der Machart, wie wir sie in den Kellereien im Badischen vor wenigen Wochen verkostet haben, wäre aber die bessere Wahl gewesen. Leider gab die Karte des Restaurants diese Auswahlmöglichkeit nicht her.
Wer in diese Region fährt, der darf ein Fischessen nicht auslassen. Wohnmobilisten mit Kochkünstlerambitionen können sich auch bei den Fischerhöfen frischen oder frisch geräucherten Fisch besorgen. Die meisten Fischerhöfe haben ein großes Schild an der Strasse. Einfach reingehen, fragen was der See heute ins Netz oder in die Reusen gespült hat und auswählen.
Mein Favorit ist frisch geräucherter Aal.

Den Abend lassen wir auf einer Parkbank direkt am Wasser ausklingen und wir schauen den Vögeln bei ihrem Spiel zu, während die Sonne langsam am Horizont verschwindet.

Waren jenseits von Event- und Shopping-Tourismus

Eigentlich wollten wir weiter fahren. Eine Reifenpanne verhindert dies jedoch. Wir haben uns an der Entsorgungsstation ein dickes Loch in den rechten Vorderreifen gefahren. Die Verriegelung für die Grauwasserentsorgung war nicht vorschriftsmäßig umgelegt und schlitzt unseren Reifen auf.
„Dumm gelaufen“.

Anstatt unser nächstes Ziel anzusteuern, organisieren wir uns erst einmal einen neuen Reifen. Natürlich hat der ortsansässige Reifenhändler keinen Passenden vorrätig. Wir sind ja auch nicht mit einem Polo, Golf oder Astra unterwegs. Das beschert uns einen weiteren Tag in Waren.

Nachdem alles organisiert ist, satteln wir unsere Drahtesel und starten zu einer Tour durch den Müritz-Nationalpark.

So sieht Natur aus, wenn man sie sich selbst überlässt.


Mit welcher Selbstherrlichkeit sind wir Menschen doch unterwegs und glauben immer zu wissen, was das Beste für das größere Ganze ist. Hier können wir sehen: die Natur kann gut für sich alleine sorgen.
Das können wir hier nicht nur sehen sondern auch erleben. Einige betrachten die Fahrt durch den Nationalpark als sportliche Herausforderung. Die werden etwas verpassen. Es ist eine von den Touren, bei denen Langsamkeit erst den Zugang zum Erlebnis ermöglicht.
Hilfreich um das Auge (und die Ohren) auf das Erlebnis vorzubereiten ist, eine Führung von einem Ranger der Nationalparkinformationszentren, von denen es am Rande des Nationalparks wohl mehre an den Zugängen gibt. Sie weisen dem Stadtmensch darauf hin, auf was er achten muss, damit man die interessanten Dinge überhaupt sieht, ob das nun Milane oder Seeadler sind, seltene Pflanzen oder unbekannte Geräusche… . Zeit nehmen und Wahrnehmen ist hier die Devise.

Wir haben vor, bis Rechlin zu fahren, doch einsetzender Regen zwingt uns einen Bootsanleger am Bolter Kanal anzusteuern und von dort aus mit dem Schiff die Rückfahrt anzutreten. Bei Regen sieht das Land von der Seeseite trist, nicht wirklich einladend aus.

In Waren angekommen suchen wir uns nur noch etwas zu essen und wollen früh ins Bett. Daraus wird aber nichts. Erstens, weil in der benachbarten Hafengastronomie Live-Musik angesagt ist und wir mit zwei anderen Wohnmobilisten in der Abenddämmerung, (die Regenschauer haben sich längst wieder verzogen,) dem Ballermann-Krawall gehorchend, bis spät in die Nacht „versumpfen“, denn an schlafen ist bei dem Krach nicht zu denken.

Am nächsten Morgen ist alles fahrbereit, nur der neue Reifen fehlt noch. Die Jungs vom Reifenservice haben sich etwas verspätet, aber sie legen sich ins Zeug (vielen Dank dafür) und wir können fast wie geplant um kurz nach 11 Uhr den Platz in Richtung Rechlin verlassen.

Waren an der Müritz: Ein Fazit

Der Text zuvor macht es wohl schon deutlich: besonders begeistert sind wir nicht. Waren ist letztlich eine noch nicht richtig entwickelte und daher schlechte Kopie fragwürdiger Tourismuskonzepte, wie wir sie in Rottach-Egern, St. Moriz, Monaco oder Venedig vorfinden. Die Voraussetzungen für eine Kulisse einer „Schein-Welt“ ist mit viel Geld und Subventionen entwickelt und geschaffen. Aber die Menschen, die das betreiben sollen, passen dort nicht hin. Die können das nicht! Das sind keine Hollywood-Marionetten und das macht mir die Menschen schon wieder sympatisch – weil sie sich nicht einen Habitus antrainieren der nicht zu ihnen passt und den sie auch nicht leben wollen. Ich bzw. wir bedauern sie, denn sie müssen in ihrer Heimat etwas leben was sie nicht sind. Klar, der eine oder andere verdient damit richtig Geld, aber Authentizität und Lebensfreude können sich die Menschen mit dem Geld nicht kaufen und die, die nicht die große Kohle machen, schon gar nicht. So bleibt ihnen nur ein Spiel mitzuspielen, das zu ihnen nicht passt – oder weggehen.

Aber einen Lichtblick gibt es doch. Der Müritz-Nationalpark könnte ein Ansatzpunkt zu einem Umsteuern im Bereich des Tourismus sein. Um weg zukommen von einem schlecht kopierten Tourismuskonzept aus dem Westen zu einem wirklichen Alleinstellungsmerkmal, das sich aus den Begriffen Natur, Heimat, Authentizität und traditionelle Lebensweise der Menschen speist.

Aber vorerst gilt: Es gibt auch andere Eingänge in den Nationalpark – also Waren an der Müritz muss es nicht unbedingt sein.