Wir besuchen die Kathedrale von Modena, die im romanischen Baustil errichtet und 1184 geweiht wurde. Die Kathedrale ist ein bedeutendes romanisches Bauwerk in Europa und ist von der UNESCO als Weltkulturerbe anerkannt.
Der Duomo (so die triviale Ausschilderung in der Stadt) San Geminiano ist insoweit sehenswert, weil diese Sakralarchitektur sich über drei Halbebenen erstreckt. Diese Architektur zeigt dem Gläubigen wer hier „oben“ steht und wer „unten“. Auf der untersten Ebene steht der „Sünder“. Dementsprechend sind drei „Gebetsräume“ (Kapellen) die in einander übergehen für die Sünder auch auf der untersten Ebene platziert. Hinter dem Altar geht es einige Stufen hinunter, was man auf dem folgenden Bild nicht erkennen kann.
Die Gemeinschaft der Gläubigen, also der „Gut“en Menschen ist auf der mittleren Ebene angesiedelt. Von hier aus ist der Blick der Gläubigen immer auf den Platz der Sünder UND auf die Ebene der über ihnen stehenden gerichtet – nämlich den weltlichen und kirchlichen Führern und Fürsten. Wenn man sich in eine Bank im Raum der Gläubigen setzt, so ist man gezwungen den Blick leicht nach oben zu richten in die Kapelle oberhalb des Altars. Die Priester und Würdenträger sind fast versteckt aber deutlich erhöht. Die Optik dieser Architektur schafft nicht nur eine Entrückung, sondern auch eine „untertänige“ Distanz, die wohl nie zu überwinden sein wird.
Eine wie ich finde, nicht alltägliche Architektur-Symbolik. Ob sich die Architekten zu damaliger Zeit das so gedacht haben, weiß ich nicht. Aber mir drängt sich dieser Gedanke beim Betrachten auf.

Wir zählen etliche Personen, meist Frauen, die in inniger Zwiesprache mit etwas Höherem in den Bankreihen der „Sünder“ verharren in den drei unteren Kapellen.
Ich fotografiere nur im Museumsmodus, also ohne Blitz- und Klickgeräusche, um die Gläubigen in ihrer Zwiesprache nicht zu stören.
Ich bin schon wieder am Gehen, da fällt mir ein junges muslimisches Touristenpärchen auf, das deutlich durch die Verschleierung des weiblichen Parts als solches identifizierbar ist. Irgend etwas in mir sagt: „Warte“.

Es folgt ein Fotoshooting vor dem Altar einer der Gebetskapellen. Das Pärchen hält sich zwar an die gebotene Stille des Ortes, das „ungehemmte“ Posieren vor den Statuen stört aber trotzdem und wirkt auf mich sehr respektlos. Dem Gesichtsausdruck des Pärchens nach zu urteilen, ist das wohl auch beabsichtigt. Ich traue mich nicht, diese Situation in einem Bild festzuhalten. Die gestörten Gläubigen sind ebenfalls irritiert, lassen aber das Pärchen unkommentiert gewähren und ziehen sich nach einem hastig ausgeführten Kreuzzeichen und einem Knicks vor dem Altar zurück. Der Gesichtsausdruck der betenden Gläubigen scheint mir stille Beleidigung auszudrücken.
Nachtrag 16. Oktober: um Missverständnissen, die es wohl gegeben hat, vorzubeugen. Ich habe diese Situation nicht wie häufiger zu beobachtendes touristisches Fehlverhalten wahrgenommen, sondern als eine gezielte und bewusste Provokation der Anwesenden.
Liebe Leser/innen, was wäre passiert wenn es umgekehrt gewesen wäre? Wenn ein christliches Pärchen so in einer Moschee in Fes, Kairo, Riadh oder Teheran ein Fotoshooting veranstaltet hätten?
Ich bin sicher, es hätte mindestens Morddrohungen gegeben, wie bei den Mohammed-Karikaturen, wahrscheinlicher sind aber inzwischen Attentate (wie bei Charly Hebdo)!
Mir zeigt dieser Vorfall mittlerweile Viererlei:
1. Viele lassen sich durch falsch verstandenes Selbstbewusstsein mancher Muslime in die Defensive drängen; auch ich, das muss ich selbstkritisch feststellen, denn auch ich bin in der Situation passiv geblieben.
2. Es hat sich schon sehr viel mehr durch die Flüchtlingsproblematik und den damit zusammenhängenden Ursachen bei uns (in Europa) verändert, als Medien und Politiker zugeben wollen. Man versucht die größeren Zusammenhänge und Interessen (z.B. billige Arbeitskräfte für die Niedriglohnsektoren nicht nur in Deutschland) hinter moralischen und humanistischen Argumenten zu verstecken. Diese Dissonanz wird von vielen Menschen wahrgenommen und beeinflusst ihr Handeln; meines wohl auch, auch wenn mir das nicht immer bewusst ist.
3. Es rächt sich sich nun, dass eine ehrliche und offene Diskussion in den Gesellschaften der Europäischen Union über das, was die Menschen wirklich wollen, wie sie leben wollen, konsequent unterdrückt und durch reine Wirtschafts- und Wachstumsargumente niedergebügelt wurde und wird.
Wir selbst haben in Ermangelung einer Klarheit über unsere eigenen Werte und unsere Wünsche an das Funktionieren unserer Gesellschaften keine Argumentationen und Handlungsmuster mehr parat, wenn diese Werte, Rituale und Traditionen respektlos behandelt und übergangen werden.
Nun bekommen wir die Quittung für diese amerikanisierende Oberflächlichkeit, die Law and Order über Menschlichkeit und Empathie stellt.
4. Nicht wenige Muslime glauben inzwischen, dass sie sich den Respekt den sie Jahrzehnte von den westlichen Kulturen vermissten, nun erkämpfen müssen, nach dem alttestamentarischen Prinzip: „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ und sie glauben in diesem Sinne handeln zu dürfen! Dazu gehört auch, sich respektlos gegenüber den Traditionen des Abendlandes im Abendland zu zeigen. Förderlich für einen gegenseitigen Respekt ist das Verhalten nicht, aber angesichts der Vorgeschichte und unserem politisch respektlosen Verhalten in den letzten 50 Jahren in den arabischen Ländern ist das für mich nachvollziehbar.
Solche Ereignisse sind sicherlich noch nicht der Regelfall. Gott sei Dank! Die Tatsache, dass solche Ereignisse sich häufen, nicht mehr nur einzelne Anekdoten darstellen, von uns sehr wachsam und bewusst wahrgenommen werden und es wert erscheint, diese Ereignisse auch darzustellen und zum Thema eines Artikels zu machen, zeigt, wie viel Veränderung schon stattgefunden hat und wie schlecht unsere Gesellschaft auf diese Veränderungen vorbereitet ist.
Nun muss ich auch noch meinen „Senf“ dazu geben. Ich könnte mir durchaus vorstellen, dass ich, falls mich das Benehmen dieses Pärchens selbst sehr gestört hätte, zu denen hingegangen wäre und erst mal gefragt hätte, ob sie mich verstehen – English? – und dann hätte ich gesagt, dass sie die Gefühle der Gläubigen und Betenden stören mit ihrem Benehmen und dass „Fotoshooting“ nicht in eine Kirche passt. Evtl.hätte ich sogar gefragt, ob sie das auch in einer Moschee machen würden. Ich habe für solche „Späßchen“ absolut kein Verständnis.
Ich würde mir das nie erlauben in einer Kirche oder einer Moschee, weil sich das einfach nicht gehört. In vielen Kirchen herrscht inzwischen Fotografierverbot – gerade erlebt in Görlitz und im Dom zu Naumburg. Finde ich GUT!
LG und schönes Wochenende! Sigrid
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Ja, auch in Italien haben wir in vielen Gebäuden ein Fotografierverbot gesehen.
1. Viele (auch ich) haben dieses Verbot ignoriert. Solange man sich aber dezent verhalten hat wurde die Verbotsübertretung, typisch italienisch, aber toleriert.
2. Wir glaubten, das Fotografierverbot wurde zum Schutz der Gläubigen und aus Geschäftlichen Interessen (Museumsshop) verhängt. Weit gefehlt. Bewachende Militäreinheiten in Rom klären mich darüber auf, dass es vorallem darum geht die Vorbereitung von terroristischen Anschlägen zu erschweren.
Zum eigentlichen Thema: Ich hätte von mir geglaubt ich hätte so viel Zivilcourage. Doch als ich in der Situation stand, war ich einfach nur baff, denn ein solches Verhalten war außerhalb meines Vorstellungshorizonts.
So muss ich feststellen, daß ich in einer Art „Schockstarre“ handlungsunfähig war, zu meiner eigenen Überraschung!
Ach ja, Sigrid, was hättest du gemacht wenn das Pärchen dir einfach auf deine Frage ob sie Englisch sprechen auf arabisch geantwortet hätten?
(Ich gehe mal davon aus, daß du kein arabisch sprichst).
LG WoMolix
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Ja, dann wäre ich raus gewesen, aber vermutlich hätte ich die einfach englisch angesprochen. Ich war nicht in deiner Situation, kann also nur mutmaßen, was ich getan hätte, aber wenn mich etwas richtig ärgert oder stört, dann trau ich mich viel. Wer in Italien Urlaub macht, der kann englisch oder italienisch. Weil arabisch sprechen die wenigsten Italiener. 😃 Wenn sich irgend jemand getraut hätte, wäre evtl Unterstützung von weiteren gekommen. Ist oft so!
Als wir 2015 in Rom waren haben wir auch Militär erlebt, aber eher vor den Botschaften. Nicht in Kirchen damals.
LG und gute Nacht 😊
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Lieber WoMolix, solche Szenen, in welchen posierende Touris sich völlig achtlos gegenüber christlichen Bauwerken, Andächtigen verhalten, sehe ich hier in der Münchner Residenz in der Hofkapelle und der Reichen Kapelle tagtäglich zuhauf. Und in den meisten Fällen sind es keine offenkundigen Muslime, die sich da vor den Altären räkeln und manchmal recht provozierend gebärden, sondern Menschen, die ganz eindeutig dem sogenannten „christlich-abendländischen Kulturkreis“ und seinen „Werten“ entstammen.
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Liebe FreieDenkerin,
Da scheine ich immer zu den falschen Zeiten unterwegs zu sein. Was du als „Profi“ in diesem Metier beobachtest, stimmt mich zu tiefst traurig.
Du bestätigst mir aber auch meinen dritten Punkt in meinem Artikel, in dem ich den Schluss ziehe: „In Ermangelung einer Klarheit über unsere eigenen Werte“ keine Handlungsmuster in unserem Verhaltensspektrum mehr zur Verfügung zu haben, und wir uns als Gesellschaft nur noch auf der Ebene amerikanisierter Oberflächlichkeit bewegen. (Ein prominenter Vertreter dieser Bewegung ist ja gerade auf dem Sprung zum amerikanischen Präsidentenamt.)
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Lieber WoMolix, ich bin überzeugte Atheistin, und deshalb zutiefst davon überzeugt, dass uns die „großen Religionen“, die uns beständig weis machen wollen, ihr Gott sei der einzig wahre und richtige und echte, seit Olims Zeiten in unserem Zusammenleben eher hemmen statt fördern. 😉 Wenn wir uns dazu durchringen könnten, anstatt z. B. „muslimischen“, „christlichen“ oder „jüdischen“ oder auch „buddhistischen“, „hinduistischen“ usw. Werten endlich einmal richtig menschliche ohne Zuhilfenahme eines oder mehrerer oder gar einer Vielzahl „überirdischen“ und „übersinnlichen“ Wesens anzueignen und zu leben – was wäre das für eine schöne und wahrlich lebenswerte Welt! In der wir auch die Schätze anderer Länder und Kulturkreise ohne zu provozieren und zu verstören (sowie zu zerstören) schätzen, achten und lieben könnten. 😉
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Oh Ja, Das wäre schön. Ist aber leider eine große Utopie.
Dazu müssten einfach zu viele Menschen ihren Egoismus und ihren Machthunger einmal kritisch anschauen und daran arbeiten. Das tut weh. Dann stelle dir vor, alle Betroffenen tun das gleichzeitig. Der laute Aufschrei von rund 7 Mrd Menschen würde die Welt zum bersten bringen, nicht nur einen Spiegel, wie bei der Blechtrommel 😉 ich weis, der Vergleich hinkt… 😉
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Ich kann deine Beobachtungen nur bestätigen, ähnliches ist immer häufiger zu sehen. Deinen Ausführungen stimme ich voll und ganz zu. Manchmal frage ich mich wie lange wir unsere christlichen Bauten noch bewundern können.
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Wir hatten auf unserer Tour noch mehrere solcher Erlebnisse. Doch diese Erfahrung in Modena war die bizarrste! so habe ich diese Begebenheit als Beispiel genommen und beschrieben.
Es stimmt eben nicht, was unser Ex-Bundespräsident Wulf sagte. Der Islam gehört eben nicht zu Deutschland. Der Islamische Kultureinfluss wurde vor den Toren Wiens im Osten gestoppt und im Westen kam im Mittelater der Islam bis in die Mitte Spaniens. Fährt man in die entsprechenden Regionen, dann kann man an alten Gebäuden und Kulturdenkmählern diesen Einfluß auch heute noch erkennen und nachvollziehen.
Wenn ich durch Deutschland, Österreich, die Schweiz, Frankreich oder Italien fahre dann finde ich praktisch keinerlei Hinweise auf die Islamische Kultur. In Italien finden sich immer wieder Ähnlichkeiten zu christlich otherdoxen Kunststilen. Merkmale islamischer Kunst oder Kultur – ich hab sie bis heute praktisch nicht gefunden.
Aber ich bin ja blöd, kann das nicht sehen und habe nicht das Wissen im Gegensatz zu unseren „wunderbaren“ (und von uns gewählten) Vortänzern! 😉
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Du suchst nach Zeugnissen und Manifestationen islamischer Kultur hier im „Abendland“? Da gibt es jede Menge, würde ich sagen. Seit der Zeit des Stauferkaisers Friedrich II. ist Europa immer wieder kulturell und vor allem in den sich entwickelnden Wissenschaften durchaus vom „Morgenland“ und auch dem Islam beeinflusst worden.
http://manaar-myblog-manaar.blogspot.de/2009/01/der-einfluss-des-islam-auf-das.html
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Da gebe ich dir natürlich Recht. Ich denke wir sollten aber einen Unterschied zwischen kulturellem Austausch und kultureller Prägung in einer Region machen.
Wie wir heute wissen, muss es einen Wissensaustausch vom Vorderen Orient in unsere Region gegeben haben, wie man das schon an der Himmelsscheibe von Nebra zeigen kann.
Südspanien ist aber durchaus durch die Herrschaft der Mauren, die kulturell sehr offen und liberal agierten, geprägt worden.
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Nachtrag zur Frage: „wie lange wir unsere christlichen Bauten noch bewundern können“
Meine Antwort: so lange wir das Schicksal der byzantinischen Hagia Sophia (Sophienkirche), die zu einer Moschee wurde, bei unseren Sakralbauten verhindern können.
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