Vom Tegernsee zum Ammersee #1

Unsere Fahrt zum Tegernsee verlief problemlos. Wir hatten als ersten Stellplatz Bad Wiessee ausgemacht. Er liegt vor einem kommerziellen Strandbad und Segelbootverleih unweit des ortsansässigen Yachtclubs. Jetzt ist noch Vorsaison und wir können davon ausgehen, dass noch nicht viel los sein wird. Diese Vermutung bestätigt sich, denn wir sind alleine. Alleine mit dem kräftigen Rauschen des vorbei fließenden Baches. Sehr schön!

Tegernsee1Bei einem abendlichen Spaziergang verschaffen wir uns noch einen ersten Eindruck von Bad Wiessee. Kurz gesagt: Noch nicht viel los zu dieser Jahreszeit. Das gerade stattfindende Blasmusikkonzert am See ist gut besucht, wir haben aber das Gefühl, dass dies die einzigen Gäste des Ortes sind. Uns sind mehrere Häuser/Hotels in bester Tourismuslage aufgefallen, die in der jetzt beginnenden Saison mit Sicherheit nicht mehr geöffnet werden. Zwischen Terrassenplatten wächst 20cm hoch Gras und Unkraut, keinerlei Aktivität im Haus, beschlagene Scheiben…. in diesen Häusern können keine Gäste wohnen.
In den letzten Jahren wurde die öffentliche Infrastruktur ordentlich aufgehübscht, die in die Jahre gekommene Spielbank durch einen Neubau vor den Toren des Ortes ersetzt, eine „Mini-Einkaufs-Fußgängerzone“ etabliert und die Attraktivität des Ortes durch eine Driving Range mitten im Ort erhöht, um die klassische Gästezielgruppe der Jod-Schwefel-Quellen-Besucher um eine zahlungskräftige Klientel zu erweitern.

Am nächsten Morgen machen wir uns auf, den Tegernsee mit dem Fahrrad zu umrunden.
Rottach-Egern, Tegernsee, St. Quirin, Gmund, Bad Wiessee,

Tegernsee4Unser Eindruck ist, die nördlichen Orte haben schon bessere Zeiten gesehen. Tegernsee und besonders Rottach-Egern liefern ihren Gästen eine nahezu perfekte und schön gestaltete Scheinwelt der Schönen und Reichen. Ich amüsiere mich prächtig über das Weiblein-Laufen der gelifteten und „entfalteten“ Möchtegern-Schönheiten reicher Shareholder, immer in der Hoffnung posierend, vom gemeinen Touristen bewundert zu werden.
Einen Lachkrampf, den ich fast nicht unterdrücken konnte, überkam mich, als mir ein älteres Paar entgegen kam.
Sie: geliftet, blondiert, knallroter Lippenstift, Goldklunker um den Hals, eingepackt in sündhaft teure Klamotten, die mindestens zwei Kleidergrößen zu klein sind und für eine mindestens 25 Jahre jüngere Frau angemessen gewesen wären.
Er: gestriegelt wie ein junger Lufthansa-Pilot in lässiger aber teurer Kleidung, anstatt Krawatte ein Seidentuch um den Hals, im Sakko natürlich Einstecktuch, Haare nachgefärbt, was aber nicht mehr das fehlende Volumen kaschieren kann.

Tegernsee3Sie eilt wild gestikulierend von einem Schaufenster zum nächsten, Er trabt einen 3/4-Schritt hinter ihr her mit je einer Papiertüte von Escada, Gucci, Armani und …
Oh, wenn die sich doch bloß mal selbst sehen könnten. Würden die im Boden versinken wollen? Oder würden sie konsequent leugnen, dass sie das sind? – Eine weitere Möglichkeit für eine Reaktion fällt mir nicht ein.
Dann hat Sie einen Platz auf der Bühne einer angesagten Lounge entdeckt und ihren Tüten-tragenden Begleiter zielsicher dort hin gelotst.

Tegernsee2Nach einigem Nachdenken wird mir bewusst, dass genau das zum Geschäftsmodell solcher Nobelmeilen gehört wenn diese erfolgreich sein wollen.
Die Kommunen schaffen eine perfekte Kulisse, die die Gaffer für die Reichen anzieht.
Die Hotels, Restaurants und Geschäfte liefern die Bühne auf der man zeigt, dass „man sich das locker leisten kann“ und „dazugehört“.
Das Ego der Reichen profitiert von den Gaffern, die zu der Klasse gehören: Wenn das monatliche Überlebensbudget ausbleibt, dann ist spätestens in einem Jahr Schicht im Schacht.
Und die Zuschauer dieses Marktplatzes der Eitelkeiten, wie profitieren sie? Ja, sie haben nun endlich einmal ein paar von diesen exaltierten Figuren live gesehen, deren Vorbilder sie sonst nur in der Regenbogenpresse bewundern können. Vielleicht erliegen sie ja auch für einen kurzen Moment der Illusion auch dazu gehört zu haben.

Das nennt man eine Win-Win-Situation.
Jeder bekommt was er glaubt zu brauchen und die Kasse klingelt bei denen, die den Mechanismus durchschauen und diese Win-Win-Situation kreieren.

Etwas feixend und amüsiert setzen wir unsere Tegernseeumrundung fort. Wir freuen uns an den immer wieder wechselnden Panoramen und Ausblicken. Allerdings machen uns einige sportlich ambitionierte Radfahrer in „Eddi Merxx – Kostüm“ das Leben bzw. das Radeln schwer. Einer versuchte sogar, sicher nicht mit Absicht, unsere Tour zu beenden. Akrobatische Ausweichmanöver haben dies jedoch verhindert.

Blick zum Wallberg an dem sich bei geeignetem Wetter die Gleitschirmflieger tummeln
Blick zum Wallberg an dem sich bei geeignetem Wetter die Gleitschirmflieger tummeln

2 Gedanken zu “Vom Tegernsee zum Ammersee #1

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